Zum Hauptinhalt springen

Digitalisierung: Allheilmittel für die (sozialen) Herausforderungen der intelligenten Stadt?

(c) Urban Future Global Conference

Vom 28. Februar bis 2. März 2018 findet die URBAN FUTURE Global Conference erstmals in Wien statt. Im Rahmen von Europas größter Konferenz für nachhaltige Städte werden rund 3.000 der engagiertesten CityChanger aus 400 Städten der ganzen Welt nach Wien pilgern. Dabei wird es auch eigene “Field Tours” zu Microsoft Österreich geben.

Von den 7,6 Milliarden Menschen, die derzeit unsere Erde bevölkern, lebt ungefähr die Hälfte in Städten. Laut UN-Prognose wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,8 Milliarden Menschen ansteigen, wovon 75% – also rund 7,35 Milliarden Menschen – in urbanen Zentren leben werden. Schon jetzt findet rund um den Globus eine gigantische Wanderungsbewegung in Richtung Metropolen statt: täglich sind es rund 220.000 Menschen, die dem vermeintlichen Lockruf der Städte folgen. Da braucht es nicht viel Rechenkünste, um sich der Bedeutung der Städte für die Zukunft unseres Planeten bewusst zu werden. Um dieses Städtewachstum vor allem vor dem Hintergrund des Klimawandels und der dadurch knapper werdenden Ressourcen bewerkstelligen zu können, ist ein kompletter Reset erforderlich. Und das rasch. Andernfalls droht ein Kollaps des Systems.

Mobilität, Energieversorgung, öffentliche Verwaltung und Ressourcenschonung als Kernthemen
Die wichtigsten Bereiche, in denen Stellhebel umgelegt werden müssen, sind bereits identifiziert und bekannt: Mobilität, Energieversorgung, die öffentlichen Verwaltungen und der Umgang mit Ressourcen. Aber welche konkreten Lösungen und Strukturen braucht es, um die vielbeschworene „Smart City“ – also die intelligente Stadt –  Realität werden zu lassen? Mittlerweile hat man den Eindruck, dass die Digitalisierung und die mit ihr einhergehenden Lösungen reflexartig als Lösung für alle Herausforderungen in Stellung gebracht wird, ob in Städten oder generell in unserer Gesellschaft. Doch kein Trend ohne Gegentrend: mehr und mehr Städteverantwortliche und Zukunftsforscher erkennen die Risiken, die rein technikfokussierte Smart City-Ansätze und die mangelnde Auseinandersetzung mit den sozialen Aspekten einer Stadt mit sich bringen. Sie erkennen, dass digitale Tools und Techniken nur die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine Stadt nachhaltiger werden kann.

Wenn auch viele Stadtentwickler noch mit verkrusteten und innovationshemmenden Strukturen kämpfen, stellen sie dennoch im Zuge der Auseinandersetzung mit der Digitalisierung wichtige Fragen: Haben wirklich alle BürgerInnen den gleichen Zugang zu den digitalen Angeboten der Stadt oder bleiben sozial Schwächere auf der Strecke? Wie kann ich mit den BewohnerInnen der Stadt in einen Dialog treten, aus dem ich wertvolle Impulse für eine nachhaltige Weiterentwicklung gewinnen kann? Und nicht zuletzt: Welchen Beitrag kann ich leisten, damit meine BürgerInnen nicht nur ihre Einstellung, sondern auch ihr Verhalten ändern und sich aktiv für eine nachhaltige Stadt einsetzen?

Welche Fallstricke beim Einsatz neuer technischer Services manchmal lauern, wenn diese nicht mit einer gleichzeitigen Veränderung des menschlichen Verhaltens einhergehen, zeigen Erfahrungswerte bei der Einführung der City-Maut in London und Stockholm. Wurde in beiden Städten unmittelbar nach Inkrafttreten der Abgabe ein deutlicher Rückgang des Pkw-Verkehrs registriert (um bis zu 30 Prozent), so pendelte sich die Verkehrsreduktion nach zwei Preiserhöhungen in London inzwischen bei minus zehn Prozent im Vergleich zu 2003 ein. „Transport for London“ stellte 2014 in einem Argumentarium zur dritten Erhöhung der Maut fest, dass allen Maßnahmen zum Trotz Staus im Maut-Gebiet nicht weniger geworden wären. Auch in Stockholm setzen Kommunalpolitiker auf steigende Abgaben als zentralen Lenkungsfaktor. Wobei in beiden Städten der prinzipielle Erfolg ohne den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Ausweitung der Angebote nicht möglich wäre. Zum Beispiel indem multimodale Mobilität forciert wird. Am einfachsten mittels einer eigenen App, wie sie zusehends in Metropolen angeboten wird. Fazit: Die digitale Transformation muss die Menschen in den Mittelpunkt stellen.

Immerhin gibt es mittlerweile auch zahlreiche Positivbeispiele konkreter Projekte im öffentlichen Raum, wo digitale Technologien nachhaltige Stadtentwicklung förderen und beschleunigen. Dazu zählt etwa der Einsatz von intelligenten Stromnetzen in der Energieversorgung, der die Voraussetzung für die Nutzung erneuerbarer Energien und damit für die Energiewende darstellt. Erst kürzlich wurde etwa die Entscheidung getroffen, das Netzlabor in der Seestadt aspern weiterzuführen. Die Erkenntnisse aus umfangreichen Messungen des Energieverbrauchs und ihrer Auswirkungen auf die Stromnetz-Kapazitäten einer Stadt sind essenziell, um den wachsenden Energiebedarf der Städte auch in Zukunft decken zu können. Auch Messungen des Kapazitätsbedarfs an Bushaltestellen sowie modular aufgebaute Ticketing- und Zugangssysteme sind in Städten bereits weit verbreitet.

Barcelona: Effizientere Stadtverwaltung dank bürgernaher Digital-Strategie

Barcelona zum Beispiel zeigt anderen europäischen Städten gerade vor, wie man digitale Anwendungen nützen kann, um die Effizienz der Stadtverwaltung zu verbessern. Mittels Microsoft Cloud-Lösungen hat die katalanische Metropole seine kommunalen Infrastrukturen intelligent miteinander vernetzt, wodurch die Reaktionszeiten der Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr deutlich reduziert wurdenDarüber hinaus setzt Barcelona heute sehr stark auf eine partizipative und bürgernahe Digital-Strategie. Federführend ist dabei Francesca Bria, Chief Technology and Digital Innovation Officer der Stadt. Sie setzte sich erfolgreich dafür ein, dass Daten aus der Verwaltung BürgerInnen frei zugänglich gemacht werden. Von diesem Open Government Ansatz profitiert nicht nur die Bevölkerung, sondern auch lokale Unternehmen: Start-Ups nutzen das Datenmaterial als Basis für die Entwicklung attraktiver Anwendungen und neuer Applikationen für die intelligente Stadt. Eine klassische Win-Win Situation eben.

Athen: Direkte Kooperation zwischen BewohnerInnen und der Stadtverwaltung

Athen geht noch um einen Schritt weiter: EinwohnerInnen arbeiten hier bei verschiedenen Projekten direkt mit der Stadtverwaltung zusammen. Im Rahmen dieser Kooperation sind in den letzten Jahren in der griechischen Hauptstadt zahlreiche Bürgerinitiativen und Start-ups mit einem gemeinsamen Ziel entstanden: die nachhaltige Entwicklung von Athen voranzutreiben. Von der Straßenreinigung über die Unterstützung von Migranten bis zur Essensausgabe an bedürftige Menschen hatten sich unzählige Initiativen formiert. Die Stadtverwaltung sah sich mit einer wachsenden Anzahl an Aktivitäten und Initiativen konfrontiert, die alle behördlich genehmigt werden mussten. Bei der Suche nach einem Mechanismus, diese zu bündeln, entwickelte Vizebürgermeisterin Amalia Zepou mit ihrem Team eine eigene Online-Plattform. Seit 2015 verlinkt synAthina  mehr als 2800 Projekte und über 300 Initiativen. Mithilfe des Tools vernetzen sich die städtischen Akteure, tauschen Erfahrungen aus und treiben so die nachhaltige Stadtentwicklung voran.

Amsterdam: Bürgerbeteiligung mittels Crowdfunding und dezidierter Online-Plattformen

Auch Amsterdam ist ein gutes Beispiel für gelungene Bürgerbeteiligung mit Hilfe von digitalen Netzwerken. Durch die Finanzkrise 2009 drohten geplante Sanierungsmaßnahmen für das Stadtviertel Amstel3 unterzugehen. Um das Quartier wieder aufzuwerten, initiierte die Unternehmerin Saskia Beer Projekte mit betroffenen Stakeholdern. Sie organisierte eine Reihe von Veranstaltungen vor Ort und gewann damit das Vertrauen der örtlichen Einwohner. Immer mehr Menschen engagierten sich, wurde selbst aktiv und vernetzten sich mit anderen engagierten BewohnerInnen des Viertels. Ein Crowdfunding-Projekt für den Bau eines Gemeinde-Pavillons erregte das Interesse der Stadtverwaltung, die schließlich in das Projekt investierte. Die Initiatve ZO!City wurde binnen kürzester Zeit so bekannt, dass das Kernteam in Folge das Management des Netzwerkhubs neu aufstellen musste. Saskia Beer gründete daraufhin die Online-Plattform TransformCity, die Akteure vernetzt und zum Austausch einlädt. Das Projekt gilt inzwischen weltweit als eines der erfolgreichsten Stadtentwicklungsprojekte und wurde zu Recht mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

CityChanger: Impulsgeber für nachhaltige Stadt-Entwicklungen
Wir freuen uns daher besonders, sowohl Saskia Beer als auch Amalia Zepou als SpeakerInnen auf der URBAN FUTURE Global Conference begrüßen zu dürfen, die von 28.2. bis 2.3. erstmals in Wien stattfindet. Im Zentrum der Konferenz steht der Austausch von CityChangern, engagierten Menschen, die eine nachhaltige Entwicklung von Städten vorantreiben. Aus den unterschiedlichsten Bereichen kommend, werden sie auf der UFGC einen Einblick in ihre Erfahrungen geben. Zahlreiche Sessions widmen sich dabei technologischen Innovationen und ihren Anwendungen für die nachhaltige Stadt.

Spannend etwa auch, wie Dubai die neuen Techniken für den Austausch mit seinen BewohnerInnen nützt, um direktes Feedback zu Leistungen und Angeboten zu erhalten. Diese können an verschiedenen Touchpoints an strategisch wichtigen Plätzen in der Stadt ihre Meinung zur Stadtverwaltung und unterschiedlichen Dienstleistungen abgeben. Die Stadt erhält so in Echtzeit Auskünfte über den Grad der Zufriedenheit der EinwohnerInnen. Aisha Bin Bishr, Generaldirektorin des Smart Dubai Offices, wird ebenfalls auf der URBAN FUTURE Global Conference das von ihr initiierte Happiness Meter vorstellen.

All diese urbanen Beispiele demonstrieren, dass sich dank digitaler Technologien heute effiziente, soziale Netzwerke bilden. Je mehr Barrieren zwischen der Verwaltung und den Einwohnern einer Stadt verschwinden, umso mehr können Menschen Entscheidungen in ihren Städten mitgestalten. So wertvoll und unabdingbar dies auch für die nachhaltige Entwicklung ist, so hoch sind auch die Erwartungen an die Entscheider in Städten, sich darauf einzulassen. Denn nur jene Städte werden letztendlich intelligente Städte werden, die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt von digital gesteuerten Services und Lösungen stellen.

URBAN FUTURE Global Conference
Von 28. Februar bis 2. März 2018 findet die URBAN FUTURE Global Conference (UFGC) – Europas größtes Event für nachhaltige Städte –  erstmalig in Wien statt. Die Konferenz wird zum Hotspot für rund 3.000 TeilnehmerInnen aus 400 Städten und mehr als 200 Speaker aus den Bereichen Mobilität, Stadtplanung, Kommunikation und Ressourcenschonung. Die UFGC wurde 2014 von Gerald Babel-Sutter ins Leben gerufen und findet ab 2018 jährlich in wechselnden europäischen Städten statt. Die Teilnehmerzahl hat sich seit 2014 bereits verdreifacht.
www.urban-future.org

Über den Autor
Gerald Babel-Sutter ist ein passionierter Changemaker. Als Gründer und CEO der UFGC ist er für die gesamte Programmentwicklung sowie den Aufbau eines Partnernetzwerkes aus heute mehr als 50 Organisationen, u.a. Weltbank, EU Kommission, Eurocities, C40 oder CDP verantwortlich. Durch seine langjährige nationale und internationale Netzwerktätigkeit mit Bürgermeistern, Stadtplanern und städtischen Entscheidern hat er umfassende Insights in die Entwicklungen weltweiter Metropolen gewonnen. Sein Studium absolvierte Babel-Sutter an der Karl-Franzens-Universität Graz, der Montclair State University, der NYU, der Columbia University, sowie der Harvard Business School in den USA.