Unverkennbare Klangwelt – Der Mann hinter den Microsoft Sounds

Matthew Bennett

Wenn eine E-Mail ankommt, der Akku fast leer ist oder eine Besprechungserinnerung auf dem Bildschirm erscheint, ertönen vertraute Klänge. Vermutlich haben Sie noch nie darüber nachgedacht geschweige denn sie bewusst wahrgenommen. Matthew Bennett hat genau das getan. Sehr oft.

Bennett komponierte persönlich mehr als 400 Versionen der Windows 10 Kalenderalarmgeräusche, spielte sie ab und passte sie an, bevor er sich für die perfekte Version entschied. “So lange dauerte es halt, bis es passte», sagte Bennett mit einem Achselzucken bei einem Besuch in seinem Tonstudio in Redmond, Washington. Der angenehm beleuchtete, schallgedämpfte Raum verfügt über ein Mischpult, mehrere High-End-Studiomonitore und grosse LCD-Bildschirme sowie eine Multi-Oktav-Synthesizer-Tastatur.

Als Audio Creative Director für ein grosses Portfolio von Microsoft Hard- und Software spielte Bennett 15 Jahre lang eine Schlüsselrolle im Sound Design des Unternehmens. Er hat eine starke Meinung und elaborierte Ansichten zum Thema Sounds sowie ein hochspezialisiertes Vokabular, um darüber zu diskutieren.

Reflektierend fasst er seine Rolle folgendermassen zusammen: «Die Verantwortung gegenüber unseren Kunden ist es erstens, keinen Schaden anzurichten – sprich: keine nervigen Sounds! Zweitens sollen sie zweckmässig sein und drittens sollen sie natürlich schön klingen. Schönheit und Funktion gehen Hand in Hand. Je schöner die Sounds, desto besser unterstreichen sie die Nutzererlebnisse, die wir schaffen»

Die Perfektionierung der Windows 10-Soundfamilie dauerte viele Monate, in denen Bennett eng mit seinem Team zusammenarbeitete, darunter visuelle Designer, Forscher, Projektmanager und Ingenieure. «Wir wiederholen viel, um sicherzustellen, dass jeder Sound genau richtig klingt», so Bennett.

Hören Sie sich den Ton zur Windows-Kalender-Besprechungserinnerung an:

 

Als Komponist klassischer und improvisierter Musik, der umfangreiche Forschungen zu nicht-westlichen Musikkulturen durchgeführt hat, promovierte Bennett an der University of Washington in Ethnomusikologie (der Anthropologie der Musik), bevor er das Programm verliess, um seine erste Vollzeitstelle bei Microsoft anzunehmen. Nach fünf Jahren gründete er seine eigene Agentur und widmete sich für das nächste Jahrzehnt der Erstellung von Film- und Fernsehproduktionen sowie dem Brand Sound Design für viele Unternehmen der Fortune 500-Liste. Aber allmählich wurde er unzufrieden mit der Musik, die er schuf.

Auf der Suche nach neuer Inspiration hörte er auf zu Komponieren, um mittelalterlichen Gesang und die Musikkulturen Westafrikas, Indiens, des Nahen Ostens und Indonesiens zu studieren. Als er allmählich wieder mit dem Komponieren begann, war es sein Ziel, eine persönliche musikalische Sprache zu schaffen – „eine Klangwelt, mit der ich leben konnte“, wie er sie beschreibt.

Zurück bei Microsoft, hat Bennett sein Herzblut in die Microsoft Sounds gesteckt. Heute ist seine Arbeit nicht nur in Windows zu hören, sondern auch im Xbox-Betriebssystem und bei Produkten wie Office, Surface, Cortana und Skype. Mit einer starken Sound-Design-Philosophie und einem kreativen Blickwinkel im Fokus, wird die Klanglandschaft der Microsoft-Produkte unverkennbar – ebenso wie die Prinzipien des User-Interface-Designs des Unternehmens versuchen, eine unternehmensweite visuelle und funktionale Kontinuität zwischen den Produkten zu schaffen.

Matthew Bennett

Wir wollen Harmonie zwischen Geräten und Sinnen inszenieren

Darüber hinaus zielt Microsofts Entwicklungsumgebung Fluent Sound and Sensory Design darauf ab, das Sound-Design der gesamten Technologiebranche zu beeinflussen. «Wir verwenden Sound, um den Rhythmus und die emotionale Struktur der Benutzererfahrung zu gestalten», erklärt Bennett. «Klang ist ein Element, das in andere sensorische Erfahrungen wie Berührung, Textur und Bewegung integriert ist. Wir ändern die Art und Weise, wie wir über Sound Design bei Microsoft und hoffentlich auch in der gesamten Branche denken. Unser Ziel ist es, die Harmonie zwischen Geräten und Sinnen zu orchestrieren.

Rick Senechal, ein Microsoft Media Solutions Architect, arbeitete 20 Jahre lang mit Bennett zusammen. Senechal leitet einen weltweiten Musikservice für Firmenteams und Agenturen. Jährlich liefert der Service 4.000 Songs für Events, Videos, Podcasts und Produkte.

Bennett nimmt sich Zeit und arbeitet extrem bewusst und wohlüberlegt, meint Senechal. «Er ist die fokussierteste Person, mit der ich je gearbeitet habe», sagte er. Er nimmt sein Handwerk sehr genau. Alles was er tut, ist gut durchdacht. Er macht nicht nur Geräusche und sagt: «Oh, das klingt gut.“ Hinter den Klängen und Texturen, die er kreiert, steckt eine Logik und Intelligenz.

Hinter den Klängen und Texturen, die er kreiert, steckt Logik und Intelligenz

Bennett ist schnell dabei, zu erklären, was Microsoft-Sounds nicht sind. «Wir sind keine Soundeffekte, Game-Geräusche, generische Piepser, futuristische Töne oder Alarme. Unsere Produktklänge sind keine Live-Musiker oder gesampelten Stücke von echten Instrumenten, wie zum Beispiel ein Klavier, eine Gitarre oder ein analoger Synthesizer. Diese würden spezifische Musikstile oder das emotionale Gedächtnis ansprechen, welches wiederum zwischen Individuen und Kulturen sehr subjektiv und unterschiedlich ist. Solche Designansätze würden für die Art moderner, digitaler Erfahrung, die unsere Teams produzieren, nicht sinnvoll sein. Unser Ziel ist es, eine Sound-Design-Sprache zu entwickeln, die sich einzigartig und authentisch anfühlt und sich tief in unsere Produkt- und Gerätewelt integriert.»

Sounds in älteren Versionen von Windows unterscheiden sich deutlich von denen in Windows 10, stellt Bennett fest. Zum einen gab es noch viel mehr davon – triumphale Geräusche, die einen erfolgreichen Updatevorgang bezeichnen, sind «nicht mehr notwendig», sagte er. «Wir müssen nicht mehr feiern, dass unsere Geräte eingeschaltet sind. Das ist etwas, was wir mittlerweile als selbstverständlich ansehen.»

Viele moderne Produktklänge sind in der Regel kürzer. Frühere Geräusche, wie das Abschaltsignal in Windows NT Workstation 4.0 (1996), dauerten acht Sekunden – für heutige Standards, die weniger und auch kürzere Geräusche erfordern, unvorstellbar. Und wie Startgeräusche, gehören auch Abschaltgeräusche der Vergangenheit an – auch sie werden nur als ein weiterer unnötiger Beitrag zur technisch bedingten Lärmbelastung angesehen.

Der fast zwölf Sekunden lange Start-Ton der Windows NT Workstation 5 (2000) klang wie eine Staffel von Kampfjets, die abheben, gefolgt von funkelnden Marimbas. Die heutigen Sounds sind «tiefer in das Produkt integriert und so ruhig, leise und unaufdringlich wie möglich», erklärt Bennett. Vorbei sind Klänge, die Spezialisten „skeuomorph“ bezeichnen – Geräusche, die ihre realen Pendants replizieren, wie ein Stück Papier, das zerknittert wird, wenn ein Dokument gelöscht wird oder das Klappern von mechanischen Schreibmaschinentasten aus dem 19. Jahrhundert, die auf dem Bildschirm Tastenanschläge kennzeichnen.

«In früheren Phasen halfen diese Geräusche den Menschen, sich mit der Technik vertraut zu machen, aber wir brauchen sie nicht mehr. Klänge tragen nicht mehr weiter zur Erfahrung bei, sondern fühlen sich jetzt eher falsch an. Seit vielen Jahren reduziert die visuelle Designwelt die Unordnung und nutzt mehr Platz», beobachtete er. «Jetzt fängt das Sounddesign an, genau dasselbe zu tun.»

Wir entwerfen Klang mit Blick auf die Stille

Eine von Bennett entwickelte Designtechnik besteht in der umfangreichen Aufnahme und dem Vergleich von Stimmkonturen aus vielen verschiedenen Sprachen. Sie sind der melodische und rhythmische Aspekt der Sprache und können helfen universelle Muster zu identifizieren und eine Sound Design Sprache zu kreieren. Eine Aussage, die «Ready to go?“ bedeutet, kann beispielsweise ein sehr ähnliches Tonhöhenmuster haben, wenn sie in Englisch, Französisch, Japanisch, Mandarin, Spanisch oder Russisch gesprochen wird. Es ist im Grunde genommen «auf, ab und ein kleiner Sprung», beschreibt er die Klangmelodie.„Windows 7 hatte rund 40 Sounds, Windows 10 hat etwa acht. Als ich anfing, gab es sieben verschiedene Systemfehler-Sounds. Sie waren über Jahre gewachsen und niemand wusste, was sie bedeuteten. Es gab keine klaren Richtlinien für Partner oder für uns selbst. Wir wurden das ganze Set los und ersetzten es durch zwei fokussierte Sounds – eine sanfte Hintergrundbenachrichtigung und ein dringenderer Sound.»

Bennett nahm diese spezielle Stimmkontur und replizierte sie musikalisch, so dass sie unterhalb der 2,5-Sekunden Windows 10 Kalenderalarmmeldung zu hören ist. Diese Technik hat den gesamten Satz von Windows 10-Sounds geprägt. «Die Sprachkonturen sind tief integriert, nicht dazu bestimmt, wörtlich oder bewusst gehört zu werden», sagte er. «Sie sollten einfach intuitiv gefühlt werden, um eine emotionale Verbindung herzustellen, die sich natürlich und instinktiv anfühlt.»

Bennett ist der Meinung, dass die besten Betriebssystem-Sounds tief in die Umsetzung integriert werden sollten, die sie unterstützen. Zum Beispiel ist Kommunizieren via Textnachrichten meist zeitkritischer im Gegensatz zu E-Mails. So ist der Windows 10 Textnachrichten-Sound «ein wenig eindringlicher und macht aufmerksamer. Der Ton für eine neue E-Mail lässt dich zwar auch wissen, dass du etwas erhalten hast, aber der Ton zieht sich zurück – er ist entspannter.»

Nennt Bennett seine Kreationen «Musik»?

«Im weitesten Sinne, ja. Ich würde sie als paramusikal bezeichnen. Es werden musikalische Elemente genutzt – Rhythmus, Melodie und Harmonie – um Klänge zu erzeugen, die sich schön anfühlen, aber niemals als Musikstück auf sich aufmerksam machen sollten.“ Musikalische Konzepte spielen aber eine grosse Rolle in Bennetts Design-Denken. «Der Fehlermeldungston verwendet ein kleines neuntes Intervall, das definitiv ein wenig dissonant ist und mitteilt, dass man nun aufmerksam sein soll.“

Obwohl immer mehr Technologieunternehmen Audio-Direktoren wie Bennett beschäftigen, hinkt das Sounddesign als Disziplin noch ein wenig hinter der Hardware und dem visuellen Design her. „Wir sind traditionell nicht tief in die Produktdesignteams integriert, abgesehen von Games. Microsoft war eines der ersten Unternehmen, das den Wert der Einbindung von Sound-Designern in Produktteams erkannt hat“, so Bennett.

Bennett hat nicht nur Einfluss auf Microsoft und Technologiedesign im Allgemeinen, sondern ist auch der Meinung, dass die Disziplin des Sound Designs eine Verpflichtung gegenüber der Welt im Allgemeinen darstellt. Die New York Times hat in einer Geschichte vom 9. Februar 2018 die Kakophonie der heutzutage allgegenwärtigen, elektronischen Geräte zur Kenntnis genommen und behauptet, dass «bombastische, aufmerksamkeitsstarke, anorganische Geräusche heute zur Norm geworden sind [und] störende akustische Alarme Pawlow’sches Feedback auslösen.“

«Es gibt so viele Geräusche in unserer Umgebung. Windows-Klänge allein werden täglich hunderte von Millionen Mal auf der ganzen Welt gehört. Das ist eine Menge Sound, der viele Leben beeinflusst. Auch wenn sie relativ kurz sind, hat jeder Klang eine emotionale Wirkung, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Wir haben die Verantwortung, dies als System anzugehen und zur Schaffung einer Audioökologie beizutragen, die gesunde Beziehungen zwischen Mensch und Technik unterstützt.“

Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat erkannt, dass unerwartete, laute Geräusche Stress und Ängste verursachen können, die der öffentlichen Gesundheit schaden und dass genau diese unnötigen Geräusche und übermässigen Lautstärken nur eine weitere Form von Verschmutzung sind. «In einem Regenwald werden unglaublich viele Informationen durch Schall vermittelt, wobei sich viele Schichten gleichzeitig bewegen – Vögel, Insekten, Bäume, Pflanzen, Wasser und Wind. Und das ist verständlich, denn die akustische Gestaltung eines Regenwaldes hat sich so entwickelt, dass sie auf natürliche Weise inszeniert wird – und das mit einer tiefen Harmonie, die alle Schichten zusammen atmen und funktionieren lässt. Das ist eine kraftvolle Metapher dafür, wie wir den Sound gestalten sollten.»

Gegen Ende unseres Gesprächs machte ich ein Geständnis an Matthew: Ich habe meinen Windows-Computer seit etwa 1990 nicht mehr mit eingeschalteten Sounds verwendet. Ich fand sie unnötig und sogar irritierend. Ich fragte ihn, was mir dadurch entgangen ist – ob es einen subtilen Aspekt des Betriebssystems gibt, den ich dadurch verloren habe. Er antwortete: «Die richtigen Sounds zur richtigen Zeit, können eine effizientere und angenehmere Benutzerführung unterstützen. Sie können wichtige Informationen vermitteln und den Rhythmus und Fluss unserer Aufmerksamkeit, die unsere wichtigste Ressource ist, verbessern. Sie können wichtige Informationen vermitteln, wenn wir nicht direkt vorm Bildschirm sind. Sie können die Art und Weise, wie sich unsere Technologie anfühlt, verbessern. Wir wollen, dass die Leute wissen, dass es in Ordnung ist, die Sounds aufzudrehen.“

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