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Kim Robins bei den Paralympics

Kim Robins bei den Paralympischen Spielen in Tokio

Der Traum von den Ringen: Kim Robins von Microsoft hat immer an seinem Traum von den Paralympics festgehalten

Kim Robins war 12 Jahre alt, als er einen Entschluss fasste. Er und seine Eltern waren fast 4000 Kilometer gereist, von ihrem Zuhause im australischen Perth Richtung Osten – nach Sydney, um dort die Paralympischen Sommerspiele zu sehen. Die Paralympischen Spiele für Sportler*innen mit Behinderung werden traditionell direkt im Anschluss an die Olympischen Winter- und Sommerspiele und in derselben Stadt ausgetragen.

Diese Reise quer durchs Land im Jahr 2000 war ein Geschenk von Kims Eltern im Vorfeld einer weiteren von mehreren schweren Operationen. Er wurde mit einem Neuralrohrdefekt geboren. Seine Wirbelsäule bildete sich im Mutterleib nicht richtig aus, sodass er nicht selbständig laufen kann. „Wir gingen jeden Tag zu den Wettkämpfen. Eines Tages, im Zug auf dem Weg dorthin, fragte jemand Kim, was sein Lieblingssport sei“, sagt seine Mutter, Debbie Robins. „Er antwortete: Basketball. Und dass er eines Tages für Australien bei den

Paralympics spielen werde.“

21 Jahre später steht der Name Kim Robins tatsächlich auf der Kaderliste des australischen Rollstuhlbasketballteams der Männer – „The Rollers“, so nennt sich das Team – bei den Paralympischen Spielen 2021 in Tokio. „Ich habe vielleicht etwas länger gebraucht, um es dorthin zu schaffen“, sagt Kim, heute 33 Jahre alt. „Mein Weg war komplexer als ich dachte. Aber ich bin stolz, dass ich all die Hürden auf dem Weg überwunden habe.“

Kim Robins bei den Paralympics
Kim Robins, mit dem Ball, bei den Paralympischen Spielen in Tokio beim Spiel gegen Deutschland am 28. August 2021. Sein Team, die „Australian Rollers“, gewann. (Foto © Stephanie Wunderl)

Craig Friday, der Trainer des australischen Männer-Rollstuhlbasketballteams sagt, dass Kims „Drang ansteckend sei, sich selbst und die Menschen um ihn herum besser zu machen. Kim ist selbstlos und bereit, sich für das Team aufzuopfern.“

Diese Einstellung bringt er nicht nur auf dem Feld ein, sondern auch im Büro. Als Solution Specialist bei Microsoft in München arbeitet er mit Kunden aus der Finanz- und Versicherungsbranche zusammen. „Er hat viel Einfühlungsvermögen. Man sieht, wie er sich auf seine Teamkolleg*innen und Kunden einlässt, wie er darauf achtet, dass jeder und jede einbezogen wird und sich wohlfühlt“, sagt sein Manager Hendrik Juelich.

Diese Einstellung ist zum Teil wohl auch ein Resultat der Reise, die Kim hinter sich hat. Eine Reise, die in viele unterschiedliche Richtungen hätte führen können.

„Meine Eltern haben mich immer herausgefordert“

Debbie und Wayne Robins waren überglücklich, als 1988 ihr Sohn geboren wurde, ein jüngerer Bruder für ihre 5 Jahre alte Tochter. Erst als er etwa ein Jahr alt war und anfing, einige Entwicklungsschritte zu verpassen, wie z. B. sich selbst auf den Rücken zu drehen, begannen die Ärzt*innen eine Diagnose zu stellen.

Die Tests ergaben einen Neuralrohrdefekt, der bereits nach wenigen Wochen in der Schwangerschaft auftreten kann. Das Gehirn und das Rückenmark eines Babys entwickeln sich aus dem Neuralrohr, und wenn sich das Rohr nicht richtig schließt, kann es zu Anomalien kommen, wie bei Kim. Andere Neuralrohrdefekte sind Spina bifida und Anenzephalie.

Die Ärzte waren nicht optimistisch, was Kims Zukunft anging. „Sie sagten, er würde nie laufen, nie spielen und viele Dinge nicht tun können“, sagt Debbie Robins. „Kims Neuralrohrdefekt ist ziemlich selten, deshalb wussten sie nicht, wie sich das langfristig auf ihn auswirken würde.“

Er konnte sich nicht selbständig aufsetzen. Es folgten Jahre der Physio- und Beschäftigungstherapie und im Alter von 2 Jahren auch therapeutisches Reiten. Mehrere Operationen sollten helfen. Erst mit 3 Jahren konnte Kim mit Krücken und einer Gehhilfe laufen. Und dann waren da noch die chronischen Schmerzen, mit denen er heute noch lebt. „Das war schlimm“, sagt Debbie Robbins. „Als Kind halfen ihm die Medikamente nicht, oder nur wenig. Deshalb ging es darum, ihm zu helfen, die Schmerzen zu akzeptieren.“

Kim Robins mit seinen Eltern
Kim Robins mit seiner Mutter Debbie und seinem Vater Wayne im Jahr 2018, als die Australian Rollers eine Bronzemedaille bei den Weltmeisterschaften der International Wheelchair Basketball Federation gewannen. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kim Robins)

Parallel zu Kims Kindheit wurden ihn Australien bedeutende Forschungsfortschritte zu Neuralrohrdefekten erzielt. 1989 wurden die Professorinnen Fiona Stanley und Carol Bower zu Pionierinnen der Forschung zum Zusammenhang zwischen Neuralrohrdefekten und einem Mangel an Folat oder Folsäure in der Ernährung der Mutter. 1992 war Kim das Gesicht für eine Aufklärungskampagne des Telethon Kids Institute, ein von Stanley gegründetes Forschungsinstitut. Die Kampagne führte dazu, dass die Zahl der geborenen Kinder mit Neuralrohrdefekten erheblich zurückging. 2009 verlangte die australische Regierung gar, dass Mehl für die Brotherstellung Folsäure zugesetzt werden muss.

Als Kim etwa sechs Jahre alt war, hatte er eine schwere Zeit in der Schule. „Er saß in der Ecke und wollte mit niemandem sprechen“, sagt sein Vater Wayne Robins. „Ein Nachhilfelehrer, der ihm helfen wollte, sagte, dass Kim keinen Nachhilfeunterricht braucht, sondern Selbstvertrauen. Sport sei eine Möglichkeit, ihm das zu geben.“

Bald darauf nahmen seine Eltern Kim mit zu einem Basketballspiel, das von Rollstuhlsportlern bestritten wurde. Der kleine Junge sei überwältigt und begeistert gewesen, erinnert sich Wayne Robins. „Er hatte noch nie so viele Menschen in Rollstühlen gesehen. Er hatte noch nie jemanden gesehen, der sich hinsetzt, seine Beinprothese auszieht, in einen Rollstuhl steigt – und Basketball spielt.“

Es war Liebe auf den ersten Blick. Von da an spielte Kim Basketball – und noch viel mehr: Tennis, Leichtathletik, Schwimmen. Sein Selbstvertrauen machte eine 180-Grad-Wende. „Wir haben nie aufgegeben und Kim auch nicht“, sagt Debbie Robins. „Er hat einen sehr starken Willen.“

Kim mit seinem Sohn
Kim mit seinem Sohn Owen. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kim Robins)

„Ich glaube nicht, dass es für eine Familie einfach ist, wenn ein Kind mit einer Behinderung geboren wird“, sagt Kim Robins. „Natürlich waren einige Dinge bei mir anders, zum Beispiel brauchte ich deutlich mehr medizinische Behandlung als andere Kinder“, sagt er. „Aber meine Eltern haben mich immer motiviert und mit ermutigt, Sport zu treiben. Weil sie gesehen haben, wieviel Spaß es mir machte.

Es wurde mehr als ein Vergnügen – für Kim wurde es so wichtig wie die Luft zum Atmen. Er spielte weiter Basketball und Tennis, gewann Titel in beiden Sportarten. Doch das Training für zwei Disziplinen wurde ihm zu anstrengend. Mit 18 Jahren entschied er, sich auf Basketball zu konzentrieren. Vor allem, weil ihm der Teamaspekt des Sports gefiel.

Im Jahr 2007 wurde Kim Spieler der Perth Wheelcats, einer Mannschaft, die in der australischen Rollstuhlbasketball-Liga spielt. Die Perth Wheelcats gewannen die nationale Meisterschaft von 2007 bis 2010 und erneut in den Jahren 2013 und 2014.

Neben dem Sport begann Kim ein Studium, das er mit einem Abschluss in Sportwissenschaften an der Edith-Cowan-University in Perth und einem Master in Finanzen am Royal Melbourne Institute of Technology erfolgreich beendete.

Seine Basketballkarriere führte ihn um die ganze Welt, mit einigen Unterbrechungen während seines Studiums. Er spielte in Italien und Spanien, 2012 zog er nach Deutschland. Dort spielte er als Profi in der Rollstuhlbasketball-Bundesliga, in der er noch heute für die München Iguanas aktiv ist. 2010 kam er in den erweiterten Kader der Australia Rollers, der Rollstuhlbasketballnationalmannschaft. 2017 wurde er festes Kadermitglied. Er war Teil des Teams, dass die Bronzemedaille gewann bei der Weltmeisterschaft 2018 des Rollstuhlbasketball-Weltverbands in Hamburg.

Im selben Jahr heiratete er seine Frau Jess Durlak aus Deutschland, sie ist Lehrerin – und Basketballfan. Das Paar bekam 2020 einen Sohn, Owen, kurz nachdem Kim bei Microsoft angefangen hatte. Als er wegen der COVID-19-Pandemie begann, zu Hause zu arbeiten, verschaffte ihm das die nötige Flexibilität für die Ausbildung sowie die Zeit, die er für seine Frau und seinen Sohn brauchte.

Kim Robins mit seiner Frau und seinem Sohn
Kim Robins mit seiner Frau Jess und seinem Sohn Owen, der kürzlich ein Jahr alt geworden ist. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kim Robins)

Nach der Entscheidung Japans, die Olympischen und Paralympischen Spiele im Sommer 2021 auszurichten, war Kim nicht sicher, ob es für einen Platz im Kader der australischen Mannschaft reichen würde. Trotz seiner herausragenden Karriere gab es auch Enttäuschungen. „Bei einigen Weltmeisterschaften gehörte ich zu den besten Spielern des Landes, aber habe es nicht unter die besten Zwölf geschafft, um einen Platz im Kader zu ergattern“, sagt er. Aber das hat ihn nicht entmutigt.

Im Juni 2021 flog Kim nach Australien, wo er sich zunächst zwei Wochen in Quarantäne begab, um danach ins Trainingslager zu starten. Dort sollte sich entscheiden, wer in den Kader für Tokio rückt. Im Juli gab der australische Verband das Aufgebot bekannt – und Kim war dabei. „Kim hat eine gute Schnelligkeit und Beweglichkeit in Kombination mit einem hohen Spielverständnis, das macht ihn zu einem wertvollen Spieler der Rollers“, sagt Trainer Friday. „Die tägliche Herausforderung, auf dem Platz alles abzurufen, ist enorm. Er schafft das, ohne sich zu beklagen oder Komplimente zu erwarten.“

„Paraolympionik*innen sind Superstars in ihrer Community“, sagt Jessica Rafuse. Sie ist bei Microsoft als Direktorin für strategische Partnerschaften sowie Accessibility-Policy zuständig und lebt mit Muskeldystrophie. Die Paralympischen Spiele sind ihrer Meinung nach „eine der wenigen Plattformen, auf denen wir die Erfolge von Menschen feiern können, die aussehen wie wir und leben wie wir.“

Kim Robins bei der Arbeit
Kim Robins arbeitet als Solution Specialist für Microsoft in München, Deutschland. (Foto © Stephanie Wunderl)

Während Kim in Australien für die Reise nach Tokio trainierte, arbeitete er weiter für Microsoft und passte seine Arbeitszeiten an die Zeitzonen seines Teams in Deutschland und seiner Kunden an. Er freut sich schon darauf, nach den Spielen in Tokio zu seiner Familie zurückzukehren. Doch zunächst will er auf den Court – und so seinen Traum erfüllen.

„Ich bin sehr glücklich, dass ich zu meinen ersten Paralympischen Spielen fahren kann, auch wenn ich eine Weile warten musste“, sagt er. „Die Rückschläge und überwundenen Hürden auf meiner Reise haben mich zu einem stärkeren Athleten gemacht – und auch zu einem stärkeren Menschen.“

Kim Robins bei den Paralympics in Tokio