Während Künstliche Intelligenz immer mehr im täglichen Leben ankommt, finden Wissenschaftler*innen spannende neue Wege, ihre transformative Kraft zu nutzen, um einige der größten gesellschaftlichen Herausforderungen anzugehen.
Ob es um die Entwicklung neuer Materialien geht oder um die Kartierung von Hochwasserrisiken: Forscher*innen von Microsoft setzen KI in vielen Bereichen ein, um Probleme schneller und effektiver zu lösen als je zuvor.
Themen wie Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit im Blick, meistern sie Herausforderungen oft auf überraschend neue Weisen – etwa durch den Einsatz von Seegras, um den CO₂-Ausstoß von Zement zu senken, oder durch den Bau eines besonders energieeffizienten Computers, der Smartphone-Kamerasensoren und Licht nutzt.
2025 hat Microsoft zahlreiche Forschungsarbeiten in begutachteten Fachzeitschriften veröffentlicht und damit Erkenntnisse der Fachwelt zur Verfügung gestellt, sodass andere Wissenschaftler*innen darauf aufbauen können. Unsere zehn Beispiele zeigen, wie KI und andere Technologien Innovationen im Bankwesen, im Gesundheitswesen, in den Life Sciences und im Energiesektor beschleunigen und den Weg für dringend benötigte Durchbrüche ebnen.
Majorana 1: Der weltweit erste Quantenprozessor auf Basis topologischer Qubits
Stellen Sie sich vor, Materialien könnten sich selbst heilen und Risse in Brücken oder Flugzeugteilen schließen. Katalysatoren könnten Schadstoffe in wertvolle Bestandteile zerlegen – und neue Ansätze zur Steigerung der Fruchtbarkeit von Böden ermöglichten nachhaltigen Nahrungsanbau in rauem Klima. Quanten-Computer sollen das bald ermöglichen.
Eine im Fachmagazin Nature veröffentlichte Studie zeigt, wie Forscher*innen von Microsoft neuartige Quanteneigenschaften erzeugt haben und damit einen neuen Quantenchip-Typ namens Majorana 1 entwickelten. Der Chip basiert auf einer neuen Quanten-Architektur. Grundlegende Probleme, an denen heutige Rechner noch scheitern, soll er künftig lösen – und zwar in Jahren statt Jahrzehnten.
Herzstück von Majorana 1 ist der weltweit erste Topo-Leiter: eine neuartige Materialklasse, die Majorana-Teilchen kontrollieren kann und dadurch zuverlässigere, skalierbare Qubits bereitstellt – die Grundbausteine für Quantencomputer. Auch wenn noch einige Arbeit in die Entwicklung fließen muss: Viele grundlegende wissenschaftliche und technische Hürden sind nun genommen.
BioEmu-1: Schnellere Vorhersage der Proteinstabilität für wirksamere Medikamente
Proteine sind die grundlegenden Bausteine des Lebens und entscheidend für die Entdeckung neuer Medikamente sowie die Biotechnologie. Obwohl mithilfe von KI in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte beim Verständnis von Proteinstrukturen erzielt wurden, liefern viele Verfahren bislang nur Momentaufnahmen dieser äußerst vielseitigen Moleküle. Oder sie erfordern Simulationszeiten von Jahren, teils sogar Jahrzehnten.
Hier kommt Biomolecular Emulator-1 (BioEmu-1) ins Spiel: Das generative Deep-Learning-Modell zeigt Forscher*innen die Vielfalt unterschiedlicher Strukturen auf, die Proteine annehmen können. Ein tieferes Verständnis von Proteinen könnte die Entwicklung wirksamerer Medikamente ermöglichen. Denn viele Arzneimittel wirken durch die Beeinflussung von Proteinstrukturen, sodass entweder ihre Funktion verbessert wird oder verhindert wird, dass sie Schaden anrichten.
Wie in der Fachzeitschrift Science erläutert, kann BioEmu-1 auf einer einzigen Grafikkarte (GPU) Tausende von Proteinstrukturen pro Stunde erzeugen – zu einem Bruchteil der Rechenkosten herkömmlicher Simulationen. Dadurch lässt sich in bislang unerreichter Geschwindigkeit berechnen, welche funktionsrelevanten Strukturveränderungen Proteine annehmen können und wie stabil sie sind. Das ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung therapeutischer Proteine.
MatterGen und MatterSim: KI-getriebene Durchbrüche in der Materialforschung
Material-Innovationen ermöglichen technologische Fortschritte in vielen Bereichen: von Batterien über Brennstoffzellen bis zu Magneten. Sie sind die Voraussetzung für künftige Durchbrüche im Energiesektor. Doch die Entwicklung neuer Materialien beruhte bislang auf kostspieligen und zeitaufwendigen Experimenten. Selbst computergestützte Screenings müssen Millionen potenzieller Varianten prüfen.
MatterGen ist ein generatives KI-Werkzeug, das dieses Screening überspringt und stattdessen versucht, neuartige Materialien direkt mit Prompts zu entwickeln. Diese geben die Designanforderungen für bestimmte Anwendungen vor, wie Microsoft-Forscher*innen in der Fachzeitschrift Nature erläutern. Ähnlich wie ein KI-Bildgenerator mit einem Prompt verschwommene Vorlagen in scharfe Bilder verwandelt, beginnt MatterGen mit einer zufälligen 3D-Struktur und passt Schritt für Schritt Atome, Elemente und wiederkehrende Muster an – so lange, bis ein realistisches Material mit den definierten chemischen, mechanischen, elektronischen oder magnetischen Eigenschaften entsteht. MatterGen wurde mit mehr als 600.000 Beispielen trainiert und erreicht Bestwerte bei der Erzeugung anorganischer Materialien. MatterGen kann auch mit MatterSim zusammenarbeiten, einem KI-gestützten Werkzeug zur Simulation von Materialeigenschaften in kürzester Zeit. So entsteht ein Feedback-Kreislauf, der die Simulation und die Entdeckung neuer Materialien gleichermaßen beschleunigt.
RAD-DINO: Wenn KI bei der Analyse von Röntgenbildern hilft
Im Gesundheitswesen kann der schnellere Zugang zu Informationen Leben retten.
Im Fachmagazin Nature Machine Intelligence veröffentlichte Erkenntnisse zeigen: Generative KI-Basismodelle können Ärzt*innen präzisere Informationen liefern und die Patientenversorgung verbessern. Microsoft Research und die Mayo Clinic arbeiten an multimodalen KI-Basismodellen, die Text und Röntgenaufnahmen integrieren. Das Projekt verbindet die KI-Technologien von Microsoft Research mit den Röntgendaten der Mayo Clinic, damit Mediziner*innen bessere und aufschlussreichere medizinische Daten erhalten, um Radiologie-Ergebnisse schneller zu analysieren.
Die Technologie RAD-DINO ist benannt nach ihrem Einsatzgebiet Radiologie und einer spezifischen Computer-Lernmethode. Sie erkennt anatomische Übereinstimmungen zwischen den Brustkorb-Röntgenaufnahmen unterschiedlicher Patient*innen. Durch eine Heatmap, also die farbliche Überlagerung von Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen sowie anderen bildgebenden Verfahren, hebt sie Bereiche hervor, die besonders interessant oder wichtig sind.
Aurora: Fortschrittliche Wetter- und Umweltprognosen
Das KI-Basismodell Aurora von Microsoft nutzt die neuesten KI-Fortschritte, um nicht nur das Wetter, sondern eine ganze Bandbreite von Umweltereignissen deutlich präziser vorherzusagen.
Von Microsoft Research entwickelt, erstellt Aurora Prognosen für atmosphärische Ereignisse schneller, genauer und mit erheblich geringerem Rechenaufwand als klassische numerische Verfahren oder frühere KI-Ansätze. Herausragend ist vor allem die Vielseitigkeit von Aurora: Das Modell lässt sich durch Finetuning so spezialisieren, dass es nicht nur herkömmliche Wettervorhersagen erstellen kann, sondern auch Prognosen über Luftverschmutzung, Ozeanwellen oder tropische Wirbelstürme.
Aurora lernt die Erstellung von Vorhersagen durch das Training mit mehr als einer Million Stunden an Wetterdaten. Vorhersagen generiert das Modell innerhalb von Sekunden, während herkömmliche Systeme auf Großrechnern Stunden benötigen. Die ersten im Fachmagazin Nature veröffentlichten Ergebnisse zeigen das Potenzial, Aurora zum Beispiel für präzisere Regenvorhersagen, effizientere Erntelogistik und den Schutz von Stromnetzen einzusetzen. Microsoft entwickelt Aurora als Open-Source-Plattform weiter, vertieft Forschungspartnerschaften durch finanzielle Unterstützung über das Programm Microsoft AI for Good und investiert in lokale Wetterstationen.
FCDD: Bessere Brustkrebs-Früherkennung durch KI
Brustkrebs ist weltweit die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Vorsorgeuntersuchungen können Leben retten, doch Screenings führen oft zu falsch-positiven Befunden, was Ängste bei Patientinnen verursacht und unnötige Biopsien nach sich zieht. Dieses Problem betrifft vor allem Frauen mit dichtem Brustgewebe – eine Beschaffenheit, die das Brustkrebsrisiko erhöht und es gleichzeitig erschwert, Auffälligkeiten durch klassische Bildgebungsverfahren wie Mammografien zu erkennen.
Ein neues KI-Modell namens FCDD (Fully Convolutional Data Description) setzt genau hier an: Es erzeugt MRT-Heatmaps, die tumorverdächtige Stellen mit sehr hoher Genauigkeit lokalisieren und dabei andere KI-Modelle übertreffen. Entwickelt wurde FCDD in Zusammenarbeit zwischen dem Microsoft AI for Good Lab, der University of Washington und dem Fred Hutchinson Cancer Center. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Radiology publiziert, und das Modell ist inzwischen als Open Source freigegeben. KI wird Radiolog*innen nicht ersetzen – doch sie kann ihnen bessere Werkzeuge für die Beurteilung schwieriger Fälle an die Hand geben und ihre Arbeitsbelastung verringern.
Seegras-Zement könnte den CO₂-Fußabdruck von Beton senken
Unsere moderne Welt ist aus Beton gebaut. Als wichtigster Bestandteil von Beton ist Zement überall. Nach Wasser ist Zement das am häufigsten genutzte Material der Welt – und einer der größten Verursacher von Treibhausgasemissionen.
Forscher*innen der University of Washington und von Microsoft haben jetzt einen neuen, CO2-armen Beton auf Basis von Seegras entwickelt, der Emissionen reduzieren kann, ohne an Leistungsfähigkeit einzubüßen.
Während der Großteil der Emissionen bei der Zementproduktion aus den fossilen Brennstoffen stammt, die zur Erhitzung der Rohstoffe eingesetzt werden, ist Seegras eine Kohlenstoffsenke. Es entzieht der Luft CO₂ und speichert es während seines Wachstums. Die im Fachmagazin Matter veröffentlichten Ergebnisse der Forscher*innen zeigen: Getrocknetes, zu Pulver gemahlenes Seegras, das dem Zement beigemischt wird, hat ein um 21 Prozent geringeres globales Erwärmungspotenzial (GWP). Das ist ein Maß dafür, wie stark ein Treibhausgas die Erdatmosphäre im Vergleich zu Kohlendioxid erwärmt. Durch speziell entwickelte Machine-Learning-Modelle konnte das Team die neue Rezeptur in nur 28 Tagen entwickeln, während herkömmliche Trial-and-Error-Verfahren fünf Jahre benötigt hätten.
Hochwasser aus dem All kartieren – selbst bei starker Bewölkung
Überschwemmungen richten jedes Jahr weltweit enorme Schäden an. Obwohl Satellitenbilder ihren unschätzbaren Wert für die Erkennung und Beobachtung von Flutereignissen bewiesen haben, gibt es nur wenige umfassende globale Datensätze über längere Zeiträume. Das erschwert die Katastrophenvorsorge.
Ein im Microsoft AI for Good Lab entwickeltes Deep-Learning-Modell zur Fluterkennung nutzt die Radarbilder eines leistungsstarken Erdbeobachtungssatelliten, der sogar Wolkenschichten durchdringen kann. Dies ermöglicht es Forscher*innen, überschwemmte Gebiete selbst bei dichter Wolkendecke oder in der Dunkelheit der Nacht zu kartieren.
Ein Artikel in Nature Communications erklärt, wie die verantwortlichen Forscher*innen mit dem Modell spezielle Daten auswerten und eine globale Landkarte erstellen konnten. Sie zeigt, wo innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren Überschwemmungen auftraten, und liefert so einen zuverlässigen Überblick flutgefährdeter Gebiete. Dieser langfristige Überblick verschafft Entscheidungsträger*innen bessere Einblicke in Überschwemmungsmuster, sodass sich betroffene Regionen besser vorbereiten können. Die Langzeit-Perspektive legt nahe, dass globale Flutereignisse zunehmen dürften, allerdings sind weitere Forschungen nötig. Die Prognosen und der Quellcode des Modells sind öffentlich verfügbar, damit Wissenschaftler*innen und Einsatzkräfte weltweit das Flutmonitoring und die Katastrophenhilfe verbessern können.
Analoge optische Computer: KI-Berechnungen mit Licht beschleunigen
Microsoft hat einen analogen optischen Computer (AOC) entwickelt, der Licht statt der üblichen digitalen Elektronik nutzt. So lassen sich komplexe Optimierungsaufgaben effizient lösen und die KI-Inferenz beschleunigen – also der Prozess, bei dem ein trainiertes Modell zur Generierung von Outputs genutzt wird. Optimierungsaufgaben zielen darauf ab, aus nahezu unendlichen Möglichkeiten die bestmögliche Lösung zu finden.
Die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Erkenntnisse zeigen das Potenzial von Licht für die entscheidenden Berechnungen – potenziell mit einem Bruchteil des Energieverbrauchs und deutlich höherer Geschwindigkeit als mit den heute üblichen GPUs. Für den Prototypen wurden vorhandene und skalierbare Technologien wie Mikro-LEDs genutzt, sodass der AOC kostengünstiger ist und leichter in bestehenden Lieferketten gefertigt werden kann. Der Prototyp hat bereits zwei Arten von Optimierungsaufgaben aus dem Bank- und Gesundheitswesen erfolgreich gelöst: Er fand die effizienteste Methode zur Abwicklung komplexer Banktransaktionen und verkürzte die Dauer von MRT-Scans erheblich.
Bio-Risikomanagement: KI-Anwendungen in der Biologie sicher einsetzen
KI-Fortschritte eröffnen vielversprechende Möglichkeiten in der Biologie. Mit denselben Technologien gehen jedoch auch Biosicherheitsrisiken einher, die etwa die Schwellen für die Entwicklung gefährlicher Gifte oder von Krankheitserregern senken könnten. Dieses „Dual-Use“-Potenzial, bei dem dasselbe Wissen sowohl zum Guten genutzt als auch zum Schlechten missbraucht werden kann, stellt die moderne Wissenschaft vor ein Dilemma.
Ein im Fachmagazin Science veröffentlichter, von Microsoft federführend erstellter Artikel beschreibt ein vertrauliches, zweijähriges Forschungsprojekt, das Ende 2023 begann. Die Forscher*innen von Microsoft erkannten, dass ihre Forschungsarbeit selbst missbräuchlich genutzt werden könnte, wenn sie öffentlich publiziert und dabei die Methoden und Fehlerarten ausführlich beschreiben würde. Zur Entscheidung, welche Informationen veröffentlicht werden, bezogen sie deshalb zahlreiche Stakeholder ein, darunter Regierungsbehörden, internationale Biosicherheitsorganisationen und Fachleute aus den Bereichen Politik und Regulierung.
Die Autor*innen entwickelten zudem ein gestuftes Zugriffssystem für Daten und Methoden, das in Zusammenarbeit mit der International Biosecurity and Biosafety Initiative for Science (IBBIS) umgesetzt wurde. Nach aktuellem Kenntnisstand ist dies das erste Mal, dass eine führende wissenschaftliche Zeitschrift einen solchen gestuften Zugangsansatz zur Kontrolle eines Informationsrisikos formell anerkannt hat.
Bilder von Microsoft und John Brecher für Microsoft (Majorana 1), Jonathan Banks für Microsoft (MatterGen, MatterSim), Frank Ramspott / Getty Images (typhoon image), Mark Stone für die University of Washington (seaweed cement) und Chris Welsch für Microsoft (analog optical computer).