Skills für die Jobs von morgen: „Wir müssen lernen, keine Angst vor Veränderung zu haben“

Wien, 12.06.2017

Damit die Jobs von morgen zu einer Perspektive für die Gesellschaft werden, braucht es die Ausbildung anderer Kompetenzen, als die, die heute oftmals in Schule und Ausbildung gefördert werden. Vor allem muss Bildung Neugier als Motivationskonstrukt fördern, damit Menschen die immer schneller aufeinanderfolgenden Veränderungen positiv annehmen und nützen können. Daneben werden vor allem Medienkompetenz und analytisches Denken zentrale Erfolgsfaktoren werden.

Zu diesen und weiteren Ergebnissen kam eine ExpertInnenrunde im Rahmen der Eröffnung des Microsoft Learning Hubs. Die Zukunft von Bildung und Arbeit diskutierten Peter Bosek, Vorstand der Erste Group Bank AG, Katharina Klausberger, Co-Founder von Shpock, Dorothee Ritz, General Manager Microsoft Österreich, Kurt Söser, Mathematiklehrer an der HAK Steyr sowie Christiane Spiel, Bildungs- und Evaluationspsychologin vom Institut für Angewandte Psychologie der Uni Wien, unter der Moderation von Rainer Nowak, Chefredakteur der Tageszeitung „Die Presse“.

Persönlichkeitsbildung zentraler als Hard Skills
„Damit ein Team so richtig funktioniert, müssen die Persönlichkeiten zueinander passen“, meinte Katharina Klausberger zum Einstieg. „Wir legen bei Shpock mehr Wert auf vorhandene Soft Skills und den Willen, sich persönlich weiterzuentwickeln, als uns rein auf Hard Skills zu fokussieren. Sich eine konkrete inhaltliche Fähigkeit nachträglich anzueignen, fällt meist leichter, als seinen Charakter grundsätzlich zu ändern.“

Auch Dorothee Ritz von Microsoft schlug in diese Kerbe: „Theoretische Hard Skills ordentlich und umfassend im kurzen Zeitraum eines Bewerbungsgesprächs zu eruieren, ist fast unmöglich. Wir haben das Recruiting daher umgestellt und klären mit unseren Bewerberinnen und Bewerbern in einer Art Speed Dating bei unseren Talent Days, ob man menschlich und vom Arbeitsverständnis her grundsätzlich zueinander passt oder nicht. Die Projekte werden zunehmend komplexer, Aufgabenbereiche werden immer vielfältiger und verändern sich immer rascher – da geht es um eine generelle Kompatibilität. Nicht mehr um konkrete, gleichbleibende ToDos.“

Bildung ist Vorbereitung auf Veränderung
Zentral für eine zukunftsorientierte Arbeitseinstellung sei auch die Lust auf und Neugier nach Veränderung. Es sei unsere Pflicht, unsere Kinder auf die stetigen Veränderungen der Zukunft vorzubereiten, die ein Arbeitsleben heute mit sich bringe, so Bildungs- und Evaluationspsychologin vom Institut für Angewandte Psychologie der Uni Wien, Christiane Spiel: „Kinder sollen keine Angst vor Veränderungen haben, sondern es als Chance sehen, sich weiterzuentwickeln und Neues zu lernen. Kinder sind von Geburt an neugierig, unsere Gesellschaft sorgt jedoch dafür, dass diese Neugier bei vielen allmählich verblasst – wir müssen alles dafür tun, um das Interesse an Neuem und die Lernmotivation aufrecht zu erhalten. Zusätzlich sollen die Bildungsinstitutionen Schülerinnen und Schüler auch die Kompetenzen vermitteln diese Lernmotivation erfolgreich zu realisieren, das heißt selbstorganisiertes, selbstreguliertes Lernen anregen und gezielt fördern.“

Veränderungen finden heute in Unternehmen fortlaufend statt. Manchmal sei es auch sinnvoller, Veränderung von außen nach und nach einzuführen und so Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser mitzunehmen und einzugewöhnen, so Erste Group-Vorstand Peter Bosek: „Mit der Entwicklung unseres Online-Angebots George haben wir ganz bewusst versucht, einen völlig neuen Weg zu beschreiten. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, das Development ‚neben‘ der Bank zu fahren und erst das fertige Produkt wieder in die bestehenden Development-Prozesse der Ersten Bank eingegliedert, weil so der Veränderungsprozess einfacher möglich und annehmbar war.“

Medienkompetenz als Basiskompetenz für die Zukunft
Alle waren sich einig: Medienkompetenz werde nicht nur im Technologiebereich, sondern in allen Jobs der Zukunft zentraler – eine technologische Grundbildung wichtiger. Allerdings gehe es hier nicht um reine Infrastrukturinvestitionen.

„Geräte allein nützen und bewirken nichts – wir müssen unsere Schüler mit dem nötigen Rüstzeug ausstatten, damit sie fit für die Zukunft sind. Das Stichwort lautet hier: Medienkompetenz. Ich sehe die Zukunft der Schule insbesondere in sogenannten Flipped Classrooms“, so Christiane Spiel.

Kinder erarbeiten sich in diesem Konzept mittels digitaler Technologien und dem Einsatz neuer Medien, zum Beispiel in Form von Videos, selbstständig den nötigen Stoff. Der Lehrer übernimmt vermehrt die Rolle des begleitenden bzw. anleitenden Coaches im Klassenzimmer. „Für mich war es eine bewusste Entscheidung, die Digitalisierung in meinen Unterricht zu bringen. Leider stehe ich hier bislang relativ alleine da: Zahlreiche Bildungseinrichtungen stellen sich Sinnhaftigkeit neuer Technologien noch immer in Frage. Aber auch die Eltern sind sich derzeit noch unsicher, obwohl einige Eltern die Vorteile bereits erkannt haben und wissen, dass sie so eine tolle Investition für ihre Kinder und deren spätere Berufschancen tätigen“, erklärte Lehrer Kurt Söser, der sich auch mehr Support von staatlicher Seite wünschte.

Auch Dorothee Ritz pochte auf die Wichtigkeit von technologischer Bildung: „Meiner Meinung nach müssen Kinder bereits in ihrer Kindheit ein Grundverständnis für Technologien und Digitalisierung entwickeln – natürlich spielerisch. Viele Kinder glauben immer noch, dass Coding, IT-Aufgaben und die Digitalisierung von Fachmännern in dunklen Kämmerchen umgesetzt werden. Das ist aber schon lange nicht mehr der Fall – das zeigt ja auch die Basisarbeit von Kurt Söser.“

Mehr kritisches Denken, weniger Konformismus
Einig waren sich die Expertinnen und Experten vor allem in Bezug darauf, dass kritisches und analytisches Denken in Zukunft wichtiger sein wird, als blinder Konformismus – auch um proaktiv Veränderungen und Fortschritt anzustoßen.

Peter Bosek ortete dafür auch eine gewisse Hürde in der mentalen Grundeinstellung Österreichs: „Meiner Meinung nach ist die Unterstützung mentaler Unabhängigkeit in unserem Land nicht besonders stark besetzt. Statt in Europa eigene innovative Konzepte und Unternehmen zu fördern, freuen wir uns mehr darüber, wenn wir neue Ideen mit Regulatorik abwürgen können. Wir müssen ein anderes Mindset entwickeln, um wirklich für Veränderungen – auch im Bildungsbereich – zu sorgen.“

Katharina Klausberger sah auch im Wohlstand einen Hinderungsgrund für Zukunftsdenken: „Wir befinden uns in einer Gesellschaft, in der Leute Angst vor dem sozialen Absturz haben. Deshalb gehen viele gerne den angenehmen und schmerzfreien Weg. Für die Zukunftsfähigkeit ist das ein völlig falscher Ansatz: Risiko und Durchhaltevermögen können sich durchaus lohnen. Zwar ist nichts gegeben und schon gar nichts wahrscheinlich, aber gleichzeitig ist auch nichts unmöglich! All die neuen Technologien bieten uns schier unendliche Möglichkeiten unser Leben maßgeblich weiterzuentwickeln – durch Technologien und den digitalen Wandel werden sich zahlreiche neue Chancen für alle auftun.“

Einen möglichen Ansatz, um kritisches Denken zu fördern, sah Dorothee Ritz in mehr Transparenz und Hintergrundwissen bei der Vermittlung von Informationen: „Wir müssen unseren Kindern die nötigen Grundverständnisse in unterschiedlichen Disziplinen vermitteln. Dabei müssen wir stets darauf achten, ihnen zu illustrieren, was konzeptionell hinter einer bestimmten Problemstellung steckt. Es geht nicht um bloßes Auswendiglernen.“

Die universitäre Bildung könne auch Ansätze für andere Bildungsbereiche bieten, um analytisches Denken zu fördern, so Klausberger: „Eigentlich ist das universitäre Bildungssystem hier ein Vorbild: Junge Menschen lernen hier, wie man lernt, entwickeln ein analytisches Denkvermögen und erfahren das es möglich ist, anderen Meinungen nicht nur blind folgen zu müssen, sondern sich seine eigene Meinung zu bilden.“

Wie wird die Bildung im Jahr 2050 aussehen?
„Jedenfalls haben wir viel harte Arbeit vor uns, um für Veränderung zu sorgen. Wir müssen in Zukunft auch mehr darauf achten, dass Bildung jedem Menschen zugänglich ist und jeder die Zukunftsperspektiven dieses Landes nützen kann“, meinte Klausberger weiter.

Dass Veränderung möglich sei, zeigte Christiane Spiel an einem Beispiel optimistisch: „London hat seine Schulsituation in nur 8 Jahren stark verbessert. Sie haben einerseits verfügbare Daten genutzt und analysiert und dadurch Best Practices ermittelt und so von den besten Schulen für die Weiterentwicklung der schlechtesten gelernt, wobei erstere mit den schwachen zusammengearbeitet und sie unterstützt haben. Und dann hat London für eine bessere Bildung der Kinder auch konsequent Maßnahmen ergriffen und eine Verabschiedungskultur eingeführt, auch bei der Schulleitung.“ Neben der Entwicklung einer Verabschiedungskultur im Schulbereich ist es aus Sicht von Christiane Spiel auch ganz zentral, dass der Beruf des Lehrers/ der Lehrerin attraktiver wird, damit – wie z.B. in Finnland – sich die Besten eines Jahrgangs für diese Ausbildung bewerben. Ebenfalls für sehr wichtig hält sie die Akademisierung der KindergärtnerInnenausbildung – ein Investment in den Elementarbereich bringt den höchsten Return-on-Investment.“

Auch Ritz glaubte an eine positive Entwicklung: „Wir sehen an Kurt Söser, dass Veränderung oft im Kleinen beginnt und möglich ist. Zu seinem Online-Seminar zu Office 365, dass er freiwillig organisiert hat, haben sich über 680 Lehrerinnen und Lehrer angemeldet. Mit unserem Learning Hub wollten wir auch ein Beispiel setzen und Inspirationsgeber sein, was zukünftig möglich sein kann und soll, wenn wir alle gemeinsam anpacken.“

Kurt Söser will bei seinen Schülerinnen und Schülern jedenfalls optimistisch motivieren und betonte die hohe Einsatzbereitschaft vieler Lehrkräfte: „Viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten trotz widriger Bedingungen Tag für Tag hart daran, dass Kinder in Österreich auch in den Jobs der Zukunft eine Perspektive haben. Zentral ist, dass wir unseren Kindern beibringen, kreativ zu sein, positiv zusammenzuarbeiten und gemeinsam zu wirken und Veränderung als Chance zu begreifen.“

Bildmaterial
v.l.n.r.: Kurt Söser (Mathematiklehrer an der HAK Steyr), Christiane Spiel (Bildungs- und Evaluationspsychologin vom Institut für Angewandte Psychologie der Uni Wien), Rainer Nowak (Chefredakteur der Tageszeitung „Die Presse“), Dorothee Ritz (General Manager Microsoft Österreich), Katharina Klausberger (Co-Founder von Shpock) und Peter Bosek (Vorstand der Erste Group Bank AG).
Bildrechte: Microsoft/APA Fotoservice/Hutter

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