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Bild von Sabrina Leick mit Jason beim Spielen

Der Ort, der Kinder atmen lässt

Im Dezember 2018 kamen die Zwillinge Amelia und Bianca zur Welt. Die beiden haben die gleichen lebendigen Augen und das gleiche süße Lächeln. Aber anders als ihre Schwester ist Bianca schwer krank. Sie wurde mit Herzproblemen geboren. Ihr fehlen Rippen und Wirbel und sie hat nur eine Niere. Ohne die Hilfe spezieller medizinischer Geräte kann sie nicht atmen.

Das Kinderhaus AtemReich in München ist derzeit Biancas Zuhause – ein Ort, der in Deutschland einzigartig ist. Normalerweise leben Kinder mit schweren Atemproblemen dauerhaft in den Intensivstationen der Krankenhäuser. Das gemeinnützige Kinderhaus AtemReich in der Nähe des Schloss Nymphenburg wirkt weniger wie eine medizinische Einrichtung, sondern eher wie ein richtiges Zuhause. 127 Mitarbeiter kümmern sich um 18 Kinder. Sie werden rund um die Uhr medizinisch versorgt, haben Zeit zum Spielen und können, wenn es möglich ist, draußen im Garten an der frischen Luft sitzen.

Die Ärzte empfahlen Tamara Schaper, ihre damals sechs Monate alte Tochter Bianca von einer Intensivstation in das Kinderhaus zu verlegen. Besorgt und skeptisch war sie, erinnert sich die junge Mutter. „Ich hatte Sorge, ich könnte Bianca nicht mehr sehen und sie würde nie mehr nachhause kommen.“ Heute ist sie froh, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Sie besucht Bianca zwei bis drei Mal die Woche. Oder öfter, wenn sie es schafft. Allein für den Hin- und Rückweg braucht sie insgesamt vier Stunden.

„Die Mitarbeiter im AtemReich leisten Großartiges“, sagt Tamara Schaper. „Sie kümmern sich um Biancas medizinische Belange, aber zuallererst sehen sie sie als Menschen, nicht als Patientin. Sie geben den Kindern das Gefühl, dass sie ganz normale Kinder sind.“

Alle Kinder im AtemReich benötigen Beatmungsgeräte. Die meisten können nicht sprechen. Einige von ihnen dürfen im Laufe der Zeit vielleicht zurück nach Hause. Andere sind unheilbar krank. Das Kinderhaus AtemReich ist ihre Heimat. Der Ort, an dem sie atmen können.

Das Baby Bianca mit Beatmungsschlauch am Schaukeln
Biancas Mutter sagt, dass die Mitarbeiter des Kinderhauses AtemReich ihre Tochter als Person sehen, nicht als Patient.

Das Wichtigste für uns ist, dass die Kinder heute, hier und jetzt eine gute Zeit haben, mit so viel Lebensqualität wie nur irgendwie möglich.

Bürokratie, Informationsfluss und Mitarbeitersuche

„Das Wichtigste für uns ist, dass die Kinder heute, hier und jetzt eine gute Zeit haben, mit so viel Lebensqualität wie nur irgendwie möglich.“ Felicitas Hanne ist seit der Eröffnung im Jahr 2006 Geschäftsführerin im Kinderhaus AtemReich. Sie wird oft für ihre zupackende Haltung, ihr großes Herz und ihr Engagement für die Mission der Einrichtung gelobt. Als Hauptverantwortliche für die Verwaltung der Einrichtung ist sie aber auch mit einer nie enden wollenden Flut von Formularen, Papierkram und Personalproblemen konfrontiert.

Die Mitarbeiter kommunizierten hauptsächlich schriftlich miteinander, auf Papier oder per E-Mail. Pflegekräfte vermerkten täglich Aktuelles und Informationen zu den Kindern auf handschriftlichen Notizen. Um über die medizinischen Daten der einzelnen Kinder und andere Datensätze den Überblick zu behalten, verwendete Felicitas Hanne Microsoft Access, ein älteres Datenbankprogramm. Nur sie und ein weiterer Administrator hatten die Berechtigung für die Nutzung.

Das Personal im Kinderhaus AtemReich arbeitet in einem Turnus rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche. Wurde eine Person krank und eine Kollegin oder ein Kollege sprang ein, konnten sich bei manchen Aufgaben Fehler einschleichen, etwa bei der Bestellung von Medikamenten.

Liebe und Mitgefühl prägen von jeher die Arbeit im AtemReich. Doch es mangelte an Ordnung und Struktur.

Ein Hackathon als Wendepunkt

Als Microsoft Deutschland zum #Hackfest2018 einlud, nahm Felicitas Hanne teil – auch wenn sie nicht wirklich wusste, was sie erwarten würde. Mit dem zweitägigen Hackathon unterstützen Microsoft-Mitarbeiter Kunden, Partner und gemeinnützige Organisationen. „Meine große Hoffnung war, dass Microsoft mir helfen würde, meine Arbeit mit der Access-Datenbank auszubauen und zu verbessern.“

Bild von Volker Strasser von Microsoft DeutschlandSie traf auf Volker Strasser. Als Microsoft Digital Advisor arbeitet er normalerweise mit Unternehmenskunden. „Wir hörten genau zu, was Felicitas Hanne über die Kinder erzählte. Und ich glaube, die Hälfte unserer Kollegen hatte Tränen in den Augen.“ Die Schwierigkeiten der Kinder und die des Kinderhaus AtemReich berührten ihn und er wurde der Leiter dieses Projekts.

Auch Andre Kiehne, Executive Sponsor des Projekts und Mitglied der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, erinnert sich gut an sein erstes Gespräch mit Felicitas Hanne: „Es war ein emotionaler Moment. Meine Zwillingsmädchen kamen vor 13 Jahren in demselben Kinderkrankenhaus zur Welt, in dem die Idee für das Kinderhaus AtemReich entstand. Und das auch noch etwa zur selben Zeit.“ Andre Kiehnes Kinder waren Frühchen und hatten in ihren ersten Wochen mit einigen medizinischen Problemen zu kämpfen. Heute sind sie komplett gesund, aber die Sorgen von damals hat Kiehne nicht vergessen.

In der Nacht nach dem #Hackfest2018 konnte Volker Strasser nicht schlafen. „Ich dachte ständig darüber nach, wie wir dem Kinderhaus helfen könnten.“ Um drei Uhr morgens stand er auf und begann, einen Plan zu entwerfen. Mit diesem Plan sollten letztlich maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz (KI), Microsoft Teams und eine moderne Rekrutierungsstrategie Einzug in das Kinderhaus AtemReich finden.

Der beste Start in die Woche

Im gesamten nächsten Jahr traf sich das Team jeden Montagmorgen um 8 Uhr zu einem Projektmeeting. „Wir wollten die Woche mit der wichtigsten Sache beginnen – mit dem Kinderhaus AtemReich“, so Strasser. Felicitas Hanne konnte nicht ahnen, dass sie am Ende eine engagierte Truppe aus 50 Freiwilligen und Partnern von Microsoft an ihrer Seite haben würde.

Diese Menschen führten nicht nur die digitale Transformation im Kinderhaus AtemReich ein, sondern verbrachten auch ihre eigene Zeit in der Einrichtung rund acht Kilometer von der Münchner Microsoft Deutschland-Zentrale entfernt – sie halfen beim Aufräumen des Kellers und übernahmen Arbeiten im Garten.

„Diese unglaubliche Kombination aus Empathie, Leidenschaft, Know-how und Zeit für unsere Kinder lässt sich kaum in Worte fassen“, sagt Felicitas Hanne. „Mit den Technologielösungen kommen wir unserem Ziel näher, mehr Zeit mit den Kindern und weniger mit Papierkram zu verbringen.“

Bislang wurden lediglich die Vitalwerte eines Kindes in einem aufwändigen System aus oft manuellen medizinischen Auswertungen erfasst. „Wir übertrugen nur die Daten von den Monitoren auf Papier. Aber wir konnten die unglaublichen Mengen an Daten, die unsere Geräte liefern, gar nicht auswerten oder vergleichen.“ Heute werden Daten wie Puls, Sauerstoff, Atemrhythmus oder Blutdruck aus den medizinischen Geräten des Kindes kompiliert und daraus mithilfe von maschinellem Lernen, KI und IoT (Internet der Dinge) Analysen generiert. „So haben wir die Möglichkeit, Muster bei Kindern zu erkennen. Und wir können schneller reagieren als vorher.“

Für den 13-jährigen Maxi erwies sich das als besonders wichtig – er lebt im Kinderhaus AtemReich seit er ein Baby war. „Maxi trägt ein Atemgerät und kann weder sehen noch hören. Er ist in seiner Kommunikation und Interaktion total eingeschränkt“, erklärt Felicitas Hanne. Der Junge wurde zunehmend unruhig, verletzte sich selbst und trennte manchmal aus Frustration die Verbindung zwischen sich und seinem Atemgerät. „Wir konnten ihn nicht mehr halten, wir konnten nicht mehr zu ihm durchdringen.“

Erst die Analyse der Daten aus Maxis Medizingeräten brachte die Lösung. Seine Ärzte erkannten, dass er von einem seiner Medikamente etwas zu viel bekam. Sie verringerten die Dosierung. „Seitdem hatte Maxi keine aggressiven Phasen mehr“, berichtet Felicitas Hanne. „Es ist unglaublich, dass es plötzlich möglich ist, Daten auszuwerten und so Dinge und Muster zu erkennen und dadurch eine positive Veränderung für ein Kind zu bewirken.“

Es ist unglaublich, dass es plötzlich möglich ist, Daten auszuwerten und so Dinge und Muster zu erkennen und dadurch eine positive Veränderung für ein Kind zu bewirken.

Von der Zettelwirtschaft zu digitaler Kollaboration

Microsoft Teams ist nun die zentrale Plattform im Kinderhaus AtemReich, auf der sich die Pflegekräfte austauschen – zum Beispiel zu Besonderheiten während der Schicht oder zum Tagesablauf der Kinder. Der chatbasierte Arbeitsbereich ist auch auf Mobilgeräten verfügbar, vermindert den Stress und beugt Fehlkommunikation vor. Die tägliche Flut an E-Mails ist deutlich zurückgegangen und die Zusammenarbeit ist freundlicher und lustiger geworden, sagt Felicitas Hanne – dank der Emoticons mit verschiedenen Gesichtern und Bildern.

Bald wird es für jedes Kind einen eigenen Teams-Kanal geben. So können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des AtemReich mit Personen außerhalb der Einrichtung kommunizieren, wie etwa Eltern, Ärzten, Physiotherapeuten und anderen, die für die Versorgung jedes Kindes von entscheidender Bedeutung sind.

Microsoft Deutschland unterstützte das Kinderhaus AtemReich auch in anderen Bereichen: Um potenzielle neue Mitarbeiter anzuziehen, wurde das Marketing neu ausgerichtet – dazu gehören auch Einstellungsvideos in den sozialen Medien mit Fokus auf die Kinder und die Mitarbeiter. Fast die Hälfte der 20 freien Stellen der Einrichtung konnte mittlerweile besetzt werden.

Projektleiter Volker Strasser brachte auch das Microsoft Xbox-Team in München mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kinderhaus AtemReich zusammen. Sie sprachen gemeinsam über die Entwicklung von Spielen, um die kognitiven Fähigkeiten zu fördern. Weil die meisten herkömmlichen Spiele für die Kinder mit ihren besonderen Bedürfnissen mental und körperlich zu schwierig sind, soll dabei der Xbox Adaptive Controller zum Einsatz kommen.

Die beiden Babies Bianca und Amelie auf einer Decke

Tamara Schaper hat Bianca inzwischen ihrer Schwester Amelia vorgestellt. Im Kinderhaus AtemReich verbrachten die beiden einen ganzen Tag miteinander. „Die beiden Mädchen sahen sich an, weinten und waren sehr glücklich. Sie hielten sich an den Händen und lächelten“, erzählt Schaper. „Als Bianca geboren wurde, war ich sehr verzweifelt und wusste nicht, wie ich mit der Krankheit meiner Tochter umgehen sollte. Das AtemReich hat mir geholfen zu erkennen, was für ein glückliches kleines Mädchen ich habe, trotz ihrer Krankheit. Jedes Kind kann ein glückliches Kind sein.“

Titelbild: Jason spielt neben Krankenschwester Sabrina Leick im Kinderhaus AtemReich. Fotos mit freundlicher Genehmigung des Kinderhauses AtemReich.