Sabine Bendiek zum KI-Standort Deutschland: Viele gute Voraussetzungen und fünf konkrete To-dos

Nun sind sich endlich alle einig: Deutschland soll zu einem weltweit führenden Standort bei künstlicher Intelligenz werden. Bis zum Herbst will die Große Koalition dafür einen „Masterplan Künstliche Intelligenz“ entwickeln. Und mehr Geld soll es auch geben. Laut Handelsblatt soll das Fördervolumen in den nächsten Jahren von derzeit rund 230 Millionen auf bis 1,8 Milliarden Euro aufgestockt werden. Das sind erfreuliche Nachrichten! Doch der Teufel steckt wieder einmal im Detail. Anfang Juni berichtete das ZDF, es drohe „ein neuer Streit um die Ausrichtung der nationalen KI-Strategie“. Auch um den Standort des geplanten deutsch-französischen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz wird auf Länderebene bereits fleißig gerangelt. Das weckt ungute Assoziationen. Keinesfalls darf es der angekündigten KI-Offensive so ergehen, wie dem „DigitalPakt Schule“. Die im Oktober 2016 versprochenen fünf Milliarden Euro Bundesmittel für den Ausbau der technischen Infrastruktur sind bis heute nicht in den Ländern, geschweige denn in den Schulen, angekommen.

Während Deutschland noch diskutiert, schaffen andere Länder Tatsachen

Fakt ist, wenn es um Fortschritt geht, wartet die Welt nicht auf uns. Im Gegenteil! Während Deutschland noch diskutiert, schaffen andere Länder längst Tatsachen. Und so drohen wir beim Zukunftsthema Künstliche Intelligenz den Anschluss zu verlieren, obwohl wir eigentlich die besten Voraussetzungen haben, ganz vorne mitzuspielen: Deutschland ist in punkto Grundlagenforschung hervorragend aufgestellt. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), an dem auch Microsoft Deutschland als Gesellschafter beteiligt ist, gehört zu den weltweit führenden Forschungseinrichtungen. Die deutsche Wirtschaft verfügt über eine starke industrielle Basis, die bereits seit Jahren die Möglichkeiten der Industrie 4.0 auslotet. Zudem ist laut einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PWC der Anteil der Branchen, in denen starke Produktivitätssteigerungen durch KI möglich sind, in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Laut PWC könnte das deutsche Bruttoinlandsprodukt durch den Einsatz von KI bis 2030 um insgesamt 11,3 Prozent oder rund 430 Milliarden Euro steigen. Dieses gewaltige Potential beruht auf zwei Säulen: 40 Prozent steuern Effizienzgewinne durch KI-Technologien bei, 60 Prozent werden von innovativen Produkten und Services auf KI-Basis generiert.

Für mehr Vernetzung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft

Doch gerade diese zweite, wichtigere Säule ist bedroht, wenn es uns nicht gelingt, aus vorhandenem Knowhow konkrete Produkte zu machen. Hier brauchen wir dringend eine Stärkung der anwendungsorientierten KI-Forschung und eine bessere Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft. Ganz entscheidend für den Standort Deutschland ist die Frage, wie in Zukunft auch kleine und mittelständische Unternehmen Zugang zu KI erhalten, damit es an dieser Stelle nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Dafür sollte einerseits die Politik schnellstmöglich die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und beispielsweise die geplante steuerliche Förderung von Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen zügig umsetzen. Auch die Technologieanbieter sind in der Verantwortung ihre Entwicklungen allen frei zugänglich zu machen. Und Unternehmen sind gefragt, noch enger mit den bestehenden Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten.

Deshalb wird sich Microsoft Deutschland in den kommenden Monaten – über die Beteiligung am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz hinaus – im Bereich Wissenschaftskooperation engagieren. Sowohl mit dem DFKI als auch mit anderen führenden Institutionen wie der TU München oder Fraunhofer IESE führen wir bereits intensive Gespräche darüber, wie eine solche Zusammenarbeit möglichst nutzbringend für beide Seiten gestaltet werden kann. Außerdem betreiben wir in München ein Artificial Intelligence & Research Lab, das angewandte wie Grundlagenforschung im Bereich der Spracherkennung, bei Deep Learning, Informationserkennung oder Wissenserwerb durchführt.

Für ein gesundes Startup-Ökosystem

Um mithilfe von KI die Potentiale innovativer Geschäftsmodelle zu realisieren, brauchen wir, neben führenden Industrieunternehmen und einem starken Mittelstand, auch ein vielfältiges und gesundes Startup-Ökosystem. Nach einer aktuellen Erhebung von Roland Berger haben die USA an dieser Stelle längst die Führung übernommen: Dort sind derzeit fast 40 Prozent aller KI-Startups ansässig. Zwar liege Europa mit insgesamt 22 Prozent an zweiter Stelle (und damit vor China und Israel). Doch, so die Warnung der Studienautoren, erreiche im globalen Vergleich bisher kein europäisches Land, die notwendige „kritische Masse“. So liegt Großbritannien bei der Zahl relevanter KI-Startups auf Platz vier, Frankreich auf Platz sieben und Deutschland nur auf Platz acht.

Microsoft will dies verändern und dazu beitragen, dass auch hierzulande ein gesundes Ökosystem gedeiht. Mit der Microsoft-Initiative ScaleUp unterstützen wir reife Technologie-Startups bei ihrem Schritt vom Gründer zum Unternehmer und fördern den Aufbau starker lokaler und regionaler Communities – nicht zuletzt auch um zu verhindern, dass vielversprechende Gründer ins Ausland abwandern. Dabei erweitern wir ab sofort das Programm von ScaleUp um die gezielte technologische Unterstützung von KI-Lösungen. Außerdem werden wir in Berlin in Zukunft vor allem KI-Startups fördern, die das Potenzial haben zum echten Innovationsmotor für Deutschland zu werden.

Für die Stärkung menschlicher Intelligenz

Damit in Zukunft mehr Menschen in Deutschland zu innovativen Gründern werden können, müssen wir nicht nur die künstliche, sondern auch die menschliche Intelligenz weiter fördern. Zum Beispiel indem wir uns in der Schule stärker auf Kreativität und Kommunikation, soziale Interaktion und Problemlösungskompetenz statt auf die reine Wissensvermittlung konzentrieren. Gleichzeitig müssen wir endlich auf allen Ebenen massiv in digitale Bildung investieren.  Einen Beitrag leistet Microsoft mit der Bildungsinitiative Code your Life, die Kinder ab dem Grundschulalter spielerisch ans Programmieren heranführt. In den kommenden Monaten werden wir das Programm, das in den vergangenen drei Jahren bereits mehr als 300 000 Kinder erreicht hat, noch stärker an KI und Robotics ausrichten. Gleichzeitig erweitern wir unser Angebot um Module für Jugendliche im Alter von 14-16 Jahren sowie um ganz neue Programme für Auszubildende und Berufstätige.

Das System der beruflichen Ausbildung war über Jahrzehnte einer der Erfolgsfaktoren der deutschen Wirtschaft, aber jetzt brauchen wir dringend ein „Update“. Angesichts des enormen technologischen Tempos, droht eine ganze Arbeitnehmergeneration abgehängt zu werden, selbst wenn es jetzt endlich gelingt, digitale Bildung massiv in die Stundenpläne zu integrieren. Deshalb erarbeiten wir derzeit eine Re-Skilling-Initiative für Deutschland, die sowohl Berufseinsteigern als auch älteren Arbeitnehmern Kernkompetenzen für die digitale Arbeitswelt vermitteln soll. Neben technologischen Skills und innovativen Lerninhalten für den Umgang mit KI, sollen auch Fähigkeiten wie Agilität oder Teamfähigkeit trainiert werden. Um diese notwendige Initiative auf möglichst breite Füße zu stellen, sind wir für weitere Partner aus dem Bildungsbereich mehr als offen. Es braucht dabei einen Fortbildungsverbund, der die Anstrengungen der Wirtschaft mit öffentlichen Mitteln unterstützt mit dem gemeinsamen Ziel, dass möglichst viele Menschen ihre Stärken in den Arbeitsmarkt der Zukunft einbringen können.

Für eine breite gesellschaftliche Debatte

Parallel zu diesen drei Handlungsfeldern – Forschungstransfer, Gründerförderung und Qualifizierung – müssen wir aber auch die gesellschaftliche Debatte über ethische und rechtliche Fragen weiter vorantreiben. Dazu gehört beispielsweise die Diskussion darüber, in welchen Anwendungsbereichen wir den Einsatz von Künstlicher Intelligenz explizit ausschließen wollen. Oder darüber, wie wir die Entscheidungskriterien intelligenter Systeme transparent machen können, ohne dabei Geschäftsgeheimnisse offenzulegen. Oder auch die Frage, wie sich die gesellschaftlich wünschenswerten Ziele des Schutzes persönlicher Daten einerseits und der Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Trainingsdaten für die KI-Entwicklung andererseits sinnvoll in Einklang bringen lassen.  Mit dem Buch „The Future Computed“ hat Microsoft bereits im Januar erste konkrete Anregungen zur Lösung dieser offenen Fragen vorgelegt. Zudem engagieren wir uns seit Anfang 2017 in der Arbeitsgruppe „AG Ethik“ der Initiative D21. Um die Bundesregierung bei der Umsetzung ihres KI-Masterplans weiter zu unterstützen, planen wir außerdem die Einrichtung eines Experten-Beirats: Entscheidungsträger aus Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft werden in den kommenden Monaten regelmäßig bei Microsoft Berlin zusammenkommen, um die ethischen und regulatorischen Herausforderungen rund um das Thema KI zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu entwickeln.

Lasst uns häufiger fragen, was wir mit intelligenten Maschinen tun können

Wenn wir wollen, dass alle Menschen vom Fortschritt und den Chancen profitieren, die die digitale Gesellschaft bietet, müssen wir auch alle Menschen in die neue Zeit mitnehmen. Und das gelingt am besten in einer Kultur der Transparenz und des Vertrauens, in der so etwas wie Aufbruchsstimmung möglich wird. Um eine solche Kultur zu schaffen, genügt es nicht, Ängste abzubauen. Vielmehr muss es gelingen Offenheit, Neugierde und wenn möglich sogar Begeisterung für neue Technologien zu wecken. Und das funktioniert wahrscheinlich am besten, wenn wir weniger darüber diskutieren, welche Jobs uns intelligente Maschinen wegnehmen könnten, und mehr darüber, was sie uns geben und was wir gemeinsam erreichen können. Das wäre ganz auch im Sinne von Alan Turing. Der britische KI-Pionier hat nämlich schon 1950 gefordert: „We should not ask, can machines think, but rather‚ what can machines do?“ Diesen Ansatz würde ich gerne ein wenig erweitern und fragen: What can we do together with machines? Über diese Frage möchten wir in den kommenden Monaten gerne mit möglichst vielen Menschen in Deutschland ins Gespräch kommen.

Dieser Artikel erschien in Teilen bereits im Handelsblatt (Beitrag vom 05.07.2018)

 


Ein Beitrag von Sabine Bendiek
Vorsitzende der Geschäftsführung Microsoft Deutschland

 

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