Klimaneutralität im Handel: Zwischen ökologischem Footprint und wirtschaftlicher Profitabilität – die Lieferkette rückt im stationären Handel in den Fokus

Palettenware aus Vogelperspektive

Handelsunternehmen verfügen durch ihre Funktion als Distributoren von Waren über ein komplexes und meist globales Lieferantennetzwerk. Mit steigender Sortimentsgröße und -vielfalt steigt diese Komplexität sowie auch der CO2-Fußabdruck, den es angesichts zunehmender Klimaneutralitätsziele möglichst klein zu halten und zu reduzieren gilt. Gleichzeitig ist der Handel zur Erhaltung seiner wirtschaftlichen Existenz auf Produkte angewiesen, die von den entsprechenden Zielgruppen kalkulierbar nachgefragt werden. Um die jeweilige Nachfrage bedienen zu können, müssen die Lieferantenprozesse so organisiert werden, dass immer bedarfsgerecht geliefert werden kann. Wie der Handel die Herausforderungen Lieferketten, Transport und Mobilität am effizientesten angeht, nehmen wir im zweiten Teil unserer dreiteiligen Artikelserie „Klimaneutralität im Handel“ auf Basis konkreter Erkenntnisse, Lösungen und Handlungsempfehlungen aus dem gleichnamigen Whitepaper von EHI Retail Institute und Microsoft ins Visier.

Aktuelle Handlungsempfehlungen für die Themenfelder Lieferketten, Transport und Mobilität

Der Transport von Menschen und Gütern stellt für Unternehmen einen zentralen Bestandteil ihrer Wertschöpfungskette dar. Die globalen Lieferketten spielen daher eine wichtige Rolle bei der Erreichung von Klimazielen. Klimafreundliche Ansätze für den Transport werden insbesondere durch die Verkürzung und Reduzierung der Transport- und Mobilitätswege, den Ersatz traditioneller Transportmittel wie Auto, Flugzeug oder LKW durch die Mobilität über Schiene, den ÖPNV, Fuß- und Radverkehr und Sharing-Modelle sowie die zunehmende Nutzung von energieeffizienten Verkehrsmitteln mit erneuerbaren Antrieben und Kraftstoffen ermöglicht. Speziell die Letzte Meile, also der Transportweg zwischen Händler*innen oder Auslieferer*innen und den Endkonsument*innen, gestaltet sich zunehmend CO2-intensiv. Gerade hier ist der Einsatz von umweltfreundlicheren Transportmitteln gefragt.

Zusätzlich ermöglichen Mobilstationen und Mikrodepots oder Microwarehouses neue Ansätze für die Verkürzung der Letzten Meile. Dichtere und gemischte Raum- und Siedlungsstrukturen, wie beispielsweise die kombinierte Nutzung von Handelsflächen mit Büro- oder Wohnflächen, tragen ebenso zur Verkürzung der Wege bei. Zudem ermöglichen virtuelle Zusammenarbeit, Homeoffice und virtuelle Veranstaltungen – nicht nur in Corona-Zeiten – die Reduzierung von Dienstreisen und Pendelverkehr. Im Personentransport ist die Nutzung von Verkehrsmitteln mit CO2– und schadstoffarmen Antriebstechnologien, wie Elektroautos und Brennstoffzellenbussen, ein gängiger klimafreundlicher Ansatz. Die Umstellung des Antriebs von Lkw auf Brennstoffzellen, von Flugzeugen auf synthetische Kraftstoffe und der elektrische Betrieb von Transportfahrzeugen durch Autobahn-Oberleitungen sorgt für die Reduzierung der verkehrsseitigen Emissionen.

Aktuelle EHI-Kennzahlen zeigen: KI ermöglicht Lieferketten-Visibilität in Echtzeit

Es gibt im Handel bereits zahlreiche Aktionen und Initiativen mit der Zielsetzung, zu einer Verbesserung der Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette beizutragen. Die Strukturierung und Bewertung dieser Aktivitäten ist jedoch eine komplexe Angelegenheit. Insgesamt ist der Handel am Anfang eines Optimierungsprozesses und beginnt gerade erst, Lösungen zu identifizieren, um die bestehenden Nachhaltigkeitspotenziale auszuschöpfen. Im Zentrum dieser Lösungen steht immer häufiger Künstliche Intelligenz (KI). Insbesondere die Bereiche Warenverfügbarkeit, Bestandsoptimierung und Lieferzuverlässigkeit können durch die Einführung von KI schon heute wirtschaftlich effizienter gestaltet werden. Damit KI in der Supply Chain auch zu mehr Klimafreundlichkeit beiträgt, müsste die Supply Chain gleichzeitig auf dazugehörige Nachhaltigkeitsaspekte optimiert werden. So zum Beispiel durch den smarten Einsatz von KI beim Lieferketten-Monitoring, das auf den Transportwegen unnötige Leerkilometer reduziert und so direkt auf die Nachhaltigkeitsbilanz einzahlt.Säulendiagramm zu Wirtschaftlichen Effekten durch die Einführung von KI

Um Unterbrechungen in der Lieferkette vermeiden oder umgehen zu können, wird zunächst eine Transparenz der globalen Lieferkette und der Liefereinheiten – idealerweise in Echtzeit – benötigt. Lösungen für digitales Lieferkettenmanagement integrieren dabei alle Material-, Produkt-, Personen- und Informationsflüsse über verschiedene Logistikkanäle hinweg vom Rohstoff bis zur Endkundin oder zum Endkunden, um die Effizienz in Bezug auf Kosten, Synergien und Nachhaltigkeit zu erhöhen. Ein gutes Beispiel dafür: Microsoft nutzt CH Robinson Navisphere Vision basierend auf Azure IoT Central, um Informationen aus seiner globalen Lieferkette von externen Anbietern, Lieferanten und anderen Systemen zusammenzuführen. Die Plattform kombiniert Informationen über Bestellungen und Lieferungen in Echtzeit mit aktuellen Transportinformationen und externen Faktoren, die sich auf die Lieferkette auswirken. Mithilfe von KI und Maschinellem Lernen trifft Navisphere Vision Vorhersagen über mögliche Unterbrechungen der Lieferkette und erstellt Vorschläge, wie diese zu umgehen sind. Darüber hinaus können auf dieser Basis die Leerkilometer reduziert und somit CO2-Emissionen vermieden werden.

Digitale Lösungen zur Verkürzung und Reduzierung der Transport- und Mobilitätswege

Mit zunehmenden Online-Bestellungen und wachsendem Warenverkehr zu den Endverbraucher*innen wird vor allem das Logistik-Monitoring in Echtzeit immer wichtiger. Um nahtlose Lieferungen zu erreichen, muss die Sichtbarkeit des Lieferstatus über die gesamte Lieferkette für Endverbraucher*innen, für Versender auf Carrier-Ebene und für Supply-Chain-Verantwortliche auf Courier-Ebene sichergestellt werden. Darüber hinaus wird – je nach Modell – eine Sichtbarkeit von den Filialen bis zu den Endverbraucher*innen benötigt und Transparenz zur Einhaltung von Service-Level-Agreements (SLAs). Dazu müssen IT-Silos und -Grenzen über mehrere Supply-Chain-Systeme hinweg überschritten werden, damit es keine blinden Flecken mehr gibt. Nicht zuletzt erhöhen die Echtzeit-Informationen die Transparenz für Kuriere. In der Praxis nutzt DHL schon heute sehr erfolgreich die FarEye Plattform für die Abgabe und Abholung in DHL Paketshops, den flexiblen Last-Mile-Pickup und die Integration in bestehende Systeme. Die Lösung basiert auf KI-basiertem automatischem Routing für effiziente Lieferungen sowie genaue Estimated Time of Arrival und ist weltweit verfügbar. Durch Einführung der Lösung war DHL in der Lage, die Produktivität der Lieferteams um 15 Prozent zu erhöhen, die Zufriedenheit der Kuriere zu verdoppeln und gleichzeitig die operativen Kosten zu senken sowie die Profitabilität zu erhöhen.

Doch nicht nur das Monitoring, auch der zunehmende Bedarf an hybriden Einkaufsvarianten wie Click & Collect oder Lieferung-in-den-Kofferraum (Curb-side Pickup) erfordern auf Händlerseite neue digitale Lösungen. Der schwedische Lebensmittelhändler Bergendahls rollt dafür die Lösung StrongPoint Pick & Collect in seinen 40 „City Gross“-Filialen in ganz Schweden aus. Sie unterstützt einen schnellen und einfachen Kommissionierungsprozess in der Filiale, der allen Kund*innen eine größere Flexibilität bei den Abholzeiten bietet und den Händler*innen die Möglichkeit gibt, ein breites Sortiment an lokalen Produkten anzubieten, sowie den unnötigen Transport von Lebensmitteln stark reduziert. Die Online-Lieferaufträge werden von den Bergendahls-Mitarbeitenden in den lokalen „City Gross“-Filialen mit mobilen Pick-&-Collect-Geräten abgewickelt, wodurch die Effizienz gesteigert und die Zeit für das Fulfillment reduziert werden kann. Vorher wurden die Online-Bestellungen in Zentrallagern bearbeitet und über weite Strecken an die Verbraucher*innen ausgeliefert. Der neue Fulfillment-Prozess ersetzt lange Lkw-Fahrten und senkt die Umweltbelastung erheblich. Das bedeutet außerdem, dass die Kund*innen schneller als zuvor frische, lokal bezogene Produkte erhalten.

Auch hoher Kraftstoffverbrauch verursacht in der Transportlogistik hohe CO2-Emissionen, gleichzeitig erschweren hoher Preisdruck und hohe Wartungskosten den Einsatz teurer Telematik-Systeme. Darüber hinaus verursacht der Einsatz von Subunternehmern und heterogenen Flotten eine Komplexität, die eine Optimierung bezogen auf den richtigen Strecken- und Fahrzeugmix fast unmöglich macht. Die T-Systems-Lösung für Low Carbon Mobility Management basiert auf der Nutzung eines mobilen Endgeräts mit einer entsprechenden App, die das Fahrverhalten analysiert und das Effizienzprofil in Echtzeit berechnet. Durch eine Fahrtenzusammenfassung ergibt sich eine Einordnung zur Optimierung des Fahrverhaltens. Hierdurch lassen sich der Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen reduzieren.

Unterstützung auf dem Weg zur Klimaneutralität im Handel bietet zudem die Microsoft Cloud for Sustainability. Als digitales Werkzeug unterstützt sie unsere Kund*innen und Partner dabei, Emissionsdaten zu erfassen, zu analysieren, CO2-Einsparpotenziale zu identifizieren und Erkenntnisse als Maßnahmen umzusetzen. Durch vorgefertigte Konnektoren, ein einheitliches Datenmodell und integrierte Berechnungsmodelle können verschiedenste Unternehmensprozesse oder Emissionstreiber erfasst, durch integrierte und automatisierte Analysen ausgewertet sowie gezielte Maßnahmen festgelegt und überwacht werden.

Das aktuelle Whitepaper „Klimaneutralität im Handel & für Unternehmen“ von EHI und Microsoft steht unter den folgenden Links zum kostenlosen Download bereit: DE & ENG


Ein Beitrag von Xenia Giese
Senior Industry Advisor Retail & Consumer Goods

Xenia Giese Microsoft

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