Cosplayerin, Heldin, Träumerin
#WeAreAllGaming: Elena Schulze
Kunstform Cosplay: Echte Helden brauchen (keine) Capes
Die Welt der Spiele sprüht vor Kreativität und Vielfalt. Wie bunt die Gamingbranche tatsächlich ist, zeigt erst der Blick hinter den Controller: Wir laden Dich ein zu #WeAreAllGaming – einer Serie mit ausführlichen Porträts verschiedener Persönlichkeiten, die ihren Platz in der Gamingbranche gefunden haben. Sie modellieren sich als Spielfiguren oder verdienen als Pro-Gamer ihren Lebensunterhalt. Sie schreiben ganze Bücherreihen über Pixelwelten oder therapieren Schwerkranke mit Videospielen. Sie alle sind Teil einer Gemeinschaft – sie alle sind Köpfe von #WeAreAllGaming.
Bis heute gibt es immer wieder Gerüchte in der Halo-Community darüber, ob der Master Chief als geheimnisumwobener Protagonist der Erfolgsserie eine Frau oder ein Mann ist. Mittlerweile scheint die Sachlage klarer, denn das Buch „The Fall of Reach“ belegt, dass der Master Chief als kleiner Junge ins Spartan-Programm aufgenommen wurde. Doch ganz verstummen werden die Zweifel wohl erst, wenn sich der ikonische Held seinen Helm zum ersten Mal vom Kopf zieht.
Thematisiert wurde dieser Umstand in der ikonischen Spielereihe nie – stehen dem Master Chief die weiblichen Kollegen in der Crew doch in nichts nach. Für die Drehbuchautoren ist das Geschlecht schlichtweg irrelevant, denn sie wissen: Heldentum ist und war schon immer ein geschlechterunabhängiges Phänomen. So streift sich auch Elena Schulze gekonnt das Halo-Kostüm über und schlüpft in die Rolle eines Spiel-Charakters. Ihre Leidenschaft ist das Basteln und die Verwandlung in eine fiktive Figur: „Costume and play“ – die Branche spricht von Cosplay.
Der aus Japan stammende Trend nimmt einen elementaren Platz in Elenas Leben ein. Sie teilt diese Leidenschaft mit ihrem Freund, weshalb die gemeinsame Wohnung häufig an eine Werkstatt erinnert: Dort liegen Nadeln, Fäden und Stoffe – und Elena plant inmitten der Utensilien mit dem 3D-Programm Pepakura bereits das nächste Kostüm. Zwischen 20 und 30 Kostüme sind der bisherige Ertrag ihrer Begeisterung. Natürlich entwirft sie nicht nur für sich selbst, sondern entwickelt Outfits markanter Spiel-Charaktere auch für Freunde und Fans.
Damit bereichert Elena nicht nur die Gaming- und Cosplay-Communities im Netz ebenso wie die gamescom in Köln oder die German Comic Con. Für sie geht es um mehr als nur ein Kostüm: Als Cosplayerin schafft sie es, kranke Kinder für ein paar Stunden in eine Fantasiewelt zu entführen. Für den Verein Helden für Herzen, eine Gruppe von Cosplayern, der sie seit 2015 angehört, besucht sie regelmäßig Krankenhäuser und Kinderhospize. Dann geht sie als Superheldin oder Prinzessin ans Patientenbett oder sammelt auf Charity-Events Spenden für krebskranke Kinder. Eine echte Heldin eben. Wir haben Elena Schulze getroffen und ihr ein paar Fragen gestellt.
Elena, heute ist Weltfrauentag. Welche Bedeutung hat dieser Tag für dich?
Der Weltfrauentag ist mir definitiv wichtig und erinnert daran, was sich im letzten Jahrhundert bewegt hat. Wir dürfen nicht aufhören, an den Zielen der Gleichberechtigung zu arbeiten. Immerhin höre ich manchmal immer noch: „Du spielst wie ein Mädchen.“ Dabei frage ich mich, was das bedeuten soll: Spiele ich Halo etwa anders als ein Mann?!
Eine rhetorische Frage. Die Halo-Franchise gehört zu den beliebtesten Titeln im Cosplay. An welchen Projekten arbeitest Du gerade?
Das sind tatsächlich mehrere Projekte: Gerade habe ich mein Halsey-Kostüm fertiggestellt. Weiterhin plane ich eine neue Rüstung, die ich auch schon angefangen habe. Dabei handelt es sich um Kelly aus Halo 5. Das ist ein bisschen aufwändiger.
Vom Konzept bis zum letzten Schliff – wie lange arbeitest Du an einem Kostüm?
Das kommt ganz auf die Art an. Bei Stoffkostümen bin ich meist etwas schneller, weil ich schon länger nähe als alles andere. Bei Halsey habe ich beispielsweise nur ein paar Wochen gebraucht bis es fertig war. Für eine andere Rüstung habe ich Monate benötigt bis ich sie in der ersten Version als final betrachtet habe. Insgesamt brauche ich pro Kostüm etwa 50-100 Arbeitsstunden, aber im Endeffekt wird man eigentlich nie fertig. Es gibt immer Komponenten, die man optimieren kann.
Unabhängig vom Bau eines Kostüms: Woher nimmst Du Deine Inspiration für die Outfits?
Manchmal sieht man einfach ein Design, findet es cool und hat Lust, es zu bauen. Auch wenn man den Charakter noch gar nicht kennt. Oder umgekehrt: Man findet einen Charakter interessant und baut es. Das sind die zwei Wege. Dazu gehört auch immer, sich spielerisch in den Charakter hinein zu fuchsen – schließlich heißt es Cosplay. Ein gewisses Mindestmaß an Wissen über die Figur sollte man schon mitbringen.
Gibt es bei der Charakter-Wahl Grenzen?
Es gibt Charaktere, die ich sehr gerne mag, aber halbnackt dargestellt werden. Die kann ich nicht nachbauen, weil ich mich in solchen Kostümen nicht wohlfühlen würde. Ein Beispiel für freizügige Designs sind die von League of Legends. Das Kostüm, bei dem man an mir die meiste Haut gesehen hat, war Wonder Woman. Und selbst das war für meine persönliche Komfortzone schon grenzwertig.
Was war bis jetzt Dein Lieblings-Cosplay? Was es auch das Kostüm, in das Du die meiste Leidenschaft gesteckt?
Mein Freund und ich haben letztes Jahr Lord Voldemort von Harry Potter gebastelt, komplett mit Maske und Kunstfingernägeln. Wir haben alles selbst gemacht – sogar den Zauberstab. Das Kostüm an sich ist optisch zwar relativ einfach, aber durch die Maske und den Zauberstab bin ich einfach unfassbar zufrieden. Ich habe sehr viel positives Feedback bekommen, da Voldemort so noch nicht dargestellt wurde. Es ist wirklich schwer, einen Charakter ohne Nase darzustellen. Zu dem Kostüm hat mein Freund auch eine gewisse Hassliebe, weil das Tragen des Kostüms sehr anstrengend ist. Die Maske drückt ihm nämlich die Nase weg und er kann nur durch den Mund atmen.
Was tut man nicht alles für sein Hobby! Welchen Stellenwert hat Cosplay in Eurer Beziehung?
Es hat schon einen sehr hohen Stellenwert. Als wir zusammengekommen sind, hatte er damit gar nichts am Hut. Mittlerweile ist er jedoch reingewachsen. Im Endeffekt besteht auch unser gesamter Freundeskreis aus Cosplayern. Das ist uns als gemeinsames Hobby schon sehr wichtig! Ich glaube, dass eine Beziehung nicht funktionieren würde, wenn man sowas nicht teilen würde. Während andere Paare andere Hobbys haben, basteln wir an unseren Kostümen. Wenn so etwas Spezielles nur eine einseitige Leidenschaft ist, sehe ich das als eher schwierig für die Beziehung. Ich könnte mir nur schwer einen Partner vorstellen, der damit gar nichts anfangen kann, erwarte aber auch nicht, dass mein Freund bei allen Cosplay-Aktivitäten dabei ist.
Für Dich ist Cosplay offensichtlich mehr als nur ein Hobby. Mit Verkleidungen und Kostümen nähert man sich seinen Helden, selbst wenn diese gar nicht real existieren. Geht es Dir in diesem Sinne um eine Art Realitätsflucht?
Cosplay ist für mich eine allumfassende, prägende Leidenschaft, die sich auf alle Lebensbereiche auswirkt. Mittlerweile ist eigentlich meine gesamte Freizeit davon beeinflusst: Wochenendplanung, Freunde – Alles. Deshalb hat man ja ein Hobby: um den Alltag aufzupeppen. Das Wort Realitätsflucht ist immer so negativ behaftet, aber im Endeffekt ist es genau das. Wenn man auf Conventions geht, möchte man temporär dem Alltag Zuhause entkommen und etwas Neues sehen. Ich möchte in die bunte Welt eintauchen, die ich sonst nur online in Foren erleben kann.
Was ist Dir im Kostüm wichtiger: dass Du einhundert Prozent Deine Rolle annimmst oder der soziale Aspekt?
Das sehe ich ziemlich ausgeglichen: Wenn ich ein Kostüm baue, schaue ich parallel auf das Spiel oder den Film, aus dessen Universum der Charakter stammt, und lerne so weiter die Figur kennen und präge mir die Eigenheiten ein. Wenn ich auf Cosplay-Events bin, kann ich aber nicht die ganze Zeit den Charakter spielen. Wenn mein Freund beispielsweise die ganze Zeit Leute mit „Avada Kedavra“ anbrüllen würde, wäre das recht eigenartig. Es geht also in erster Linie um die Menschen und das gemeinsame Treffen in einer Interessengemeinschaft. Gerade wenn wir einen Stand auf Conventions haben, spreche ich gerne die Leute an und erzähle von meiner Leidenschaft.
Erzählst Du dann auch von Deinen gemeinnützigen Tätigkeiten?
Ich bin nebenbei noch im Verein Helden für Herzen e.V. Es handelt sich dabei um einen gemeinnützigen Verein bestehend aus einer Gruppe von Cosplayern, die Kinder in Krankenhäusern und Hospizen besuchen. Wir verkleiden uns als Superhelden, Prinzessinnen oder andere kinderfreundliche Figuren und versuchen so, die Kids von ihrem Leid abzulenken. Außerdem sind wir als Verein auf Charity-Events unterwegs und sammeln Spenden.
Eine tolle Idee, Kindern mit Cosplay zu helfen.
Ich fand die Idee von Anfang an großartig. Für mich wäre es als Kind das Coolste gewesen, wenn mein Lieblingsheld plötzlich aufgetaucht wäre. Ich erinnere mich etwa an einen Jungen, dem wir ein eigens für ihn graviertes Lichtschwert mitgebracht haben, worüber er sich tierisch gefreut hat. Die Schwestern haben im Anschluss gesagt, dass sie ihn schon seit Langem nicht mehr so viel laufen und lachen gesehen haben wie an diesem Tag. Ich bin selbst nicht immer auf jedem Event dabei, aber in diesem Verein zu sein und finanzielle Unterstützung zu leisten, ist mir extrem wichtig.