In unserer Reihe „KI gestalten mit“ stellen wir Personen hinter der Technologie und ihre Visionen und Projekte rund um künstliche Intelligenz vor. Luise Kranich leitet am FZI Forschungszentrum Informatik in Berlin den Bereich „Innovation, Strategie und Transfer“.
Zusammen mit ihrem Team forscht sie zu technologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen der Digitalisierung. Luise untersucht in dem Zusammenhang, wie Smart Data, künstliche Intelligenz (KI) und digitale Plattformen sinnstiftend und unter Wahrung der digitalen Souveränität eingesetzt werden können.
Wir haben ihr fünf Fragen plus Bonus-Frage zu künstlicher Intelligenz gestellt.
Wie bist du das erste Mal mit KI in Berührung gekommen?
Luise: „Das war tatsächlich vor vielen Jahren an der Uni, als wir in einem Studi-Projekt ein einfaches neuronales Netz für Spracherkennung entwickelt und trainiert haben. Es war zwar noch nicht ganz mit heutigen Sprachassistent*innen zu vergleichen, konnte aber immerhin verschiedene eingesprochene Vokale voneinander unterscheiden. Auf diesen (zugegebenermaßen recht bescheidenen) Erfolg waren wir sehr stolz.
Mich haben an diesem Projekt damals zwei eigentlich recht simple Erkenntnisse bewegt: Dass komplizierte mathematische Formeln einen so praktischen Anwendungsbezug haben und dass ich keine Zeile Code schreiben muss, um mein System kontinuierlich verbessern zu können.“
Der Einsatz von KI im Bereich Forschung, aber auch in der Übertragung in die Praxis, zum Beispiel für den Mittelstand, ist mit großen Erwartungen aber auch einigen Unsicherheiten verbunden. Woran liegt das und was sind aus deiner Sicht die Chancen?
Luise: „Der Begriff ‚künstliche Intelligenz‘ ist ja recht abstrakt und sogar bei IT-Profis teilweise entweder mit überzogenen Erwartungen oder großen Ängsten verbunden. Ich sehe in der KI vor allem einen hilfreichen Werkzeugkasten zur Automatisierung von Prozessen, die sonst recht eintönige Arbeit erfordern.
Aus meiner wissenschaftsnahen Sicht kann ich die Chancen vermutlich am besten mit dem Isaac Asimov zugeschriebenen Zitat erklären:
‚The most exciting phrase to hear in science, the one that heralds new discoveries, is not ‚Eureka!‘ (I found it!) but ‚That’s funny …‘
Die Forschung erarbeitet mit viel Aufwand ausgefeilte Methoden, um an neue Erkenntnisse zu gelangen. Gelegentlich wird sie dabei vom Zufall unterstützt, wie die Entdeckungen von Penicilin, Teflon oder Röntgenstrahlen zeigen. KI-Verfahren sind in der Lage, in scheinbar zufälligen Datenhaufen Muster zu erkennen – und dadurch, dass sie dem Zufall auf die Sprünge helfen, potenziell für sehr viele ‚That’s-funny‘-Momente zu sorgen.“
Welches Narrativ würdest du dir mit Blick auf KI für die Zukunft (in Deutschland) wünschen?
Luise: „Bilderkennungs- und -verarbeitungsverfahren sind aus manchen Bereichen der Industrie gar nicht mehr wegzudenken.
Und wenn es beispielsweise um die Analyse und Interpretation großer Datenmengen in der Medizin oder um Fahrassistenzsysteme geht, kann KI Leben retten.
Doch mit jeder Automatisierung geben wir ein bisschen Kontrolle ab. Da die KI nur das Wertesystem hat, das wir ihr vorgeben, müssen wir im Vorfeld sehr genau über den Rahmen nachdenken, innerhalb dessen automatisiert Analysen vorgenommen und Entscheidungen getroffen oder zumindest vorbereitet werden.
Ich bin froh, dass es in Deutschland und Europa so viele kompetente und engagierte Menschen gibt, die sich in interdisziplinären Gremien wie der KI-Enquète, der High-Level Expert Group on AI oder der Normungsroadmap KI damit auseinandersetzen, wie ein klarer Werterahmen und standardisierte, überprüfbare Verfahren für KI aussehen können. Wenn wir es schaffen, die Ergebnisse dieser Gremien ganz konkret in umsetzbare Leitlinien zu übersetzen, wird ‚AI made in Europe‘ sicher der absolute Renner!“
Welchen Beitrag kann jede und jeder von uns aus deiner Sicht für die Weiterentwicklung von KI leisten?
Luise: „Das kommt natürlich ein bisschen darauf an, über welche Kompetenzen und Verantwortlichkeiten wir momentan verfügen:
Menschen, die heute schon KI entwickeln, sollten sich vor allem ihrer Verantwortung bewusst sein und können sich beispielsweise in Standardisierungsbemühungen einbringen. Ich denke, gerade in Deutschland und Europa sollten wir strenge Regeln als Chance begreifen, besonders vertrauenswürdige KI-Systeme zu entwickeln und diese als USP vermarkten.
Die Aufgabe von Menschen, die KI nutzen, ist aus meiner Sicht, kritisch zu hinterfragen, was genau mit ihren Daten passiert und welche Konsequenzen das haben kann. Niemand sollte sich von Aussagen wie ‚KI ist eine Black Box‘ oder ‚Datenschutz hemmt Innovation‘ abspeisen oder verunsichern lassen. Fragt nach: Was bedeutet das für mich? Wie kann ich die Prozesse mitgestalten?
Menschen, die lehren und für Bildung verantwortlich sind (und damit meine ich explizit nicht nur Informatik-Lehrkräfte) sollten kreativ werden und sich dafür einsetzen, bei den Lernenden Interesse und Neugier an logisch-mathematischen Themen zu wecken. Denn hier liegt die Basis für KI und somit auch für die Gestaltung unserer digitalen Zukunft.
Von den Menschen, die im Rahmen von Förder- und Wirtschaftspolitik den Rahmen für AI made in Europe gestalten, wünsche ich mir mehr Mut. Allerdings nicht, wenn es um die Auslegung bestehender Regeln geht, sondern eher, auch mal auf die kleineren, unbekannten Player zu setzen statt auf die großen etablierten Player. Im Optimalfall erschaffen wir für KI-Entwicklung ein lebendiges Ökosystem, in dem Große und Kleine sich gegenseitig inspirieren und unterstützen. Nach meinem Empfinden werden noch zu oft Platzhirsche als die sichere Bank und KMU als die hilfsbedürftigen Underdogs wahrgenommen. Dadurch setzen wir nicht immer auf die besten und innovativsten Ideen und verlieren insgesamt an Tempo.“
Du sollst eine Person in drei Sätzen vom Nutzen von KI überzeugen: Wie sähe dein Elevator Pitch aus?
Luise: „1) Stell Dir vor, Du bist krank und Deine Ärztin entwickelt den Therapieplan nicht nur auf Basis Deiner eigenen Diagnose und Reaktionen auf eine Therapie, sondern lernt aus den Erfahrungen tausender anderer Menschen mit vergleichbaren Beschwerden.
2) Stell Dir vor, wir könnten mit überschaubarem Aufwand Simulationen erzeugen, die uns die Auswirkungen unseres Handelns an einem vorgegebenen Zielsystem (beispielsweise Umwelt, soziale Gerechtigkeit und persönlicher Nutzen) aufzeigt.
3) Stell Dir vor, jede wichtige Entscheidung könnte somit ein kleines bisschen mehr auf Basis von Fakten und berechneten Wahrscheinlichkeiten getroffen werden und ein ebenso kleines bisschen weniger aus dem Bauch heraus.“
Bonus-Frage: Hast du Vorbilder, die dich zum Thema KI inspirieren und von denen du gerne lernst?
Luise: „Mich beeindrucken Menschen, die es schaffen, komplexe Themen wie KI interessant und unterhaltsam zu erklären, ohne dabei zu Oberlehrerhaft zu wirken. Dazu gehört für mich beispielsweise Marc-Uwe Kling, der mit seinen QualityLand-Büchern einige große Fragen sehr amüsant diskutiert und so auch einem breiten Publikum zugänglich macht. Aber auch Cassie Kozyrkov, die einige Fragen etwas detaillierter beleuchtet, findet oft wunderbare Vergleiche, um abstrakte Konzepte zugänglicher zu machen.“
KI gemeinsam gestalten
Für uns steht fest: Wir müssen KI gemeinsam gestalten. Nur dann können wir sicherstellen, dass möglichst alle Menschen von den Chancen profitieren, die damit einhergehen. Dazu gehört ein offener Dialog, den wir im Rahmen unseres Formats #KiTweetUp bei Twitter führen.
Dort tauschen wir uns regelmäßig zu Fragen und Ideen rund um künstliche Intelligenz aus. Wer nichts verpassen möchte, folgt @MicrosoftDE und hält #KiTweetUp im Blick. Wir freuen uns!
Weitere Ressourcen:
- KI zum Selbstlernen gibt es in unserer AI Business School.
- Hier geht es direkt zu der Azure AI Fundamentals-Zertifikation, die derzeit für 15 USD absolviert werden kann.
- Inspirationen dazu, wie wir mit KI unsere Zukunft verändern können, gibt es hier.
Ein Beitrag von Pina Meisel
Communications Manager AI & Innovation