Neue Konzepte: Das sind die aktuellen Trends in der Automobilindustrie

E-Auto, das aufgeladen wird

Zeitweise stand fast alles still. Die Corona-Pandemie sorgte weltweit für leere Straßen, weil kaum jemand zur Arbeit fuhr. In der Automobilindustrie kam die Produktion fast zum Erliegen, weil die Lieferketten unterbrochen waren. Doch die Branche hat ihre Chancen genutzt. Sie verwendete die Zeit des Stillstands, um neue Konzepte für die Mobilität von morgen voranzubringen. Wir haben deshalb Expert*innen aus dem Automobilsektor und von Microsoft gefragt, welche Trends die nächsten Monate prägen werden.

Die Automobilbranche erlebt einen tiefgreifenden Wandel. Neue Mobilitätskonzepte sind auf dem Vormarsch und treffen auf veränderte Ansprüche der Kundschaft. Die Hersteller investieren massiv in die digitale Transformation ihrer Geschäftsmodelle und strukturieren radikal um. Volkswagen steckt beispielsweise mitten im Umbau zu einem „klimaneutralen, softwareorientierten Mobilitätskonzern“, sagt CEO Herbert Diess. Die neue Tochterfirma CARIAD soll bald 10.000 Mitarbeiter haben und „nach SAP das zweitgrößte Softwareunternehmen in Europa“ werden. So wichtig sind Bits und Bytes heute für den zweitgrößten Autohersteller der Welt. Welche Trends ergeben sich aus diesen Entwicklungen? Das wollten wir aus der Praxis erfahren.

Trend 1: Elektromobilität für weniger CO2-Emissionen

„2020 war der Wendepunkt der Elektromobilität in Deutschland“, sagt Professor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. „Die E-Mobilität und die Herausforderungen des Markthochlaufs werden die Diskussionen in den kommenden Monaten maßgeblich bestimmen.“ Besonders der Aufbau von privaten und öffentlichen Ladeinfrastrukturen werde ein zentrales Thema bleiben. Verfügbarkeit und Verlässlichkeit des Ladens seien notwendige Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz. Nur so ließen sich die Pariser Klimaziele erreichen. „Der Verkehrsbereich muss dekarbonisiert werden und die Hersteller müssen die CO2-Flottenziele der Europäischen Union erreichen“, sagt Bratzel. „Elektromobilität ist die derzeit einzige breit verfügbare Technologie dafür.“

Auch Stefan André Raschke sieht den „Wandel weg vom klassischen Verbrennungsmotor“ als einen der wichtigsten Trends. Damit verbunden sei das stetig steigende Angebot an Fahrassistenten und teilautonomen Funktionen, die Autos immer sicherer machen. Ich beobachte, dass immer mehr Menschen sich Gedanken über ihre Mobilität machen“, sagt der Direktor Vertrieb und Industrie Automotive von Microsoft Deutschland. „Elektrofahrzeuge mögen nicht die einzige richtige Antwort sein, aber das wachsende Umweltbewusstsein und das Achten auf die persönliche CO2-Bilanz sind gute und wichtige Entwicklungen bei der Fahrzeugnutzung.“ Für ihn fallen momentan zwei Fragestellungen zusammen: Wie gestalten wir die Mobilität in der Zeit der Pandemie? Und wie können wir schnellstmöglich Emissionen reduzieren?

Trend 2: Technik für automatisiertes Fahren kommt aus der Cloud

Alexander Burst geht noch einen Schritt weiter. „Von den drei Haupt-Trends in der Automobil-Industrie – Electrified, Connected und Automated – nimmt besonders der Automated-Bereich gerade Fahrt auf“, sagt der Vice President für den Bereich Automated Driving bei der Robert Bosch GmbH. Die Hersteller hätten in den vergangenen Monaten große Kooperationen in diesem Bereich auf den Weg gebracht. Besonders auffällig sei die Verbindung von IT-Firmen mit klassischen Automobilbauern. Als Beispiel nennt er die Zusammenarbeit von Microsoft mit General Motors und ihrer Tochterfirma Cruise, die ihre selbstfahrenden Autos jetzt mit der Azure Cloud vernetzt. Und auch Volkswagen baut seit Anfang des Jahres eine „Automated Driving Platform“ zusammen mit Microsoft. Derselbe Trend sei bei den Automobilherstellern in China zu beobachten.

Autonomes Auto überquert eine Kreuzung

Die Ursache für diese Entwicklung sieht Burst in der enormen Rechenleistung und der riesigen Menge an Speicher, die automatisiertes Fahren erfordert. Die benötigten Rechenzentren könnten kaum von klassischen Automobilherstellern oder Zulieferern aufgebaut werden. Das gelte besonders für das maschinelle Lernen und die Validierung im Bereich „Perception“, mit dem das Auto seine Umwelt wahrnimmt. „Die Automobilhersteller haben die Möglichkeit, schnell und zuverlässig an Ergebnisse zu kommen, während die IT-Firmen ihre Clouds auslasten oder die Grenzbereiche ihrer Clouds austesten können“, sagt der Experte. „Statt viele Wochen auf Testergebnisse zu warten, kann ein neuer Softwarestand in wenigen Stunden oder gar Minuten im Einsatz sein.“

In der Cloud gebaute Software könne früh und kontinuierlich simuliert und ins Auto integriert werden. Gleichzeitig könnten Daten aus den Fahrzeugflotten sofort in der Entwicklung ausgewertet werden, um die Performance zu steigern oder Fehler zu korrigieren. In der IT-Branche ist diese Continuous Delivery seit Jahren bei der Software-Entwicklung üblich. „Die Erhöhung der Entwicklungsgeschwindigkeit ist beträchtlich und gerade in dem umkämpften Markt des automatisierten Fahrens marktentscheidend“, fasst Alexander Burst die aktuelle Entwicklung zusammen.

Trend 3: Digitale Beratung beim Autokauf und Updates für Fahrzeuge

Noch einen anderen Trend, der die wachsende Bedeutung der IT bestätigt, sieht Markus Ebner, Head of Digital Customer Experience, Region Asia-Pacific bei BMW: Die Digitalisierung im Vertrieb sei offensichtlich nicht nur in Asien ein großes Thema. „In über sechzig Märkten können wir bei BMW mittlerweile ortsunabhängig beraten und Fahrzeuge verkaufen“, sagt der Digitalisierungs- und Vertriebsexperte. Das Verkaufspersonal konfiguriert die Wagen beispielsweise gemeinsam mit den Kund*innen über einen geteilten Bildschirm. Viele Bestandsfahrzeuge sind auch live im Internet verfügbar und können dort direkt reserviert werden.

Die Digitalisierung schaffe auch neue Möglichkeiten, um langfristige Beziehungen nach dem Autokauf aufzubauen und die Fahrzeuge immer aktuell zu halten. „Es lassen sich künftig beispielsweise zusätzliche Funktionen aus den Bereichen Fahrassistenz, Licht, Sound und sogar Fahrwerk nachträglich digital hinzubuchen“, erklärt Ebner. Die BMW Group habe die Digitalisierung im Vertrieb in den vergangenen Jahren konsequent vorangetrieben. Corona sowie der Wunsch nach möglichst kontaktlosen Verkaufsprozessen hätten den Trend noch weiter verstärkt. „Das wird auch nach der Pandemie weiterhin Bestand haben und weiter optimiert werden, weil die Kund*innen es schätzen“, sagt Ebner.

Trend 4: Multimodale Mobilität und Seamless Experience

Es zeigt sich noch eine weitere Entwicklung, welche die Automobilindustrie nachdenklich macht: „Vor allem junge Menschen in Städten haben nur noch eine geringe Affinität zum Auto“, erklärte Stefan Bratzel beim Microsoft Innovation Talk. „Sie sind aufgeschlossen für neue Mobilitätsformen und Anbieter und wollen nicht mehr zwingend ein eigenes Fahrzeug besitzen.“ Die Auswirkungen zeigten sich auch bei unserem virtuellen Meetup für Presse und Analyst*innen: „Wir brauchen mehr Multimodalität“, sagte Annette von Rolbeck, Head of Key Account Management & New Market Entry bei ZF Mobility Solutions. Autos werden nicht mehr unbedingt verkauft und in die Garage gestellt. Sie werden zu On-Demand-Verkehrsmitteln unter vielen, zwischen denen man nahtlos wechselt, weil digitale Lösungen das einfach ermöglichen. „Seamless Experience“ heißt dieser neue Trend. „Wir müssen interdisziplinär und übergreifend denken“, erklärte Henrike Etzelmüller, die als Industry Executive Sustainable Cities & Regions bei Microsoft arbeitet sowie die Vorsitzende des Arbeitskreises Smart City / Smart Region beim Bitkom ist. Damit multimodale Angebote entstehen, die alle Verkehrssysteme optimal zusammenbringen.


Ein Beitrag von Markus Göbel
Communications Manager Data Applications and Infrastructure

Markus Göbel

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