Anke Precht über Resilienz von Organisationen: „Digitale Technologien machen unglaublich viel möglich“

In einer Zeit, in der nicht nur viele Menschen, sondern auch viele Unternehmen die Folgen der Pandemie überstehen müssen, ist die Fähigkeit der Resilienz in den Blickpunkt gerückt. Im Interview berichtet die Psychologin und Autorin Anke Precht über ihre eigenen Erfahrungen und erklärt, welche Chancen sich aus der Nutzung moderner Technologien auch für Unternehmen ergeben.

Frau Precht, was genau verstehen Sie unter Resilienz?

Anke Precht: Es ist die Fähigkeit, mit Krisen umzugehen. Resilienz leistet für die Psyche, was das Immunsystem für unseren Körper tut. Genau wie dieses ist Resilienz etwas, das sich permanent entwickelt und gezielt trainieren lässt. Aber wie das Immunsystem kann uns auch unsere Resilienz mal im Stich lassen. Dann empfinden wir eine Krise als schlimm und tragen im schlimmsten Fall sogar Schäden davon. Oder wir wachsen und machen einen inneren Entwicklungsprozess durch – das sind übrigens auch Prozesse, die parallel zueinander stattfinden können.

Wie können wir Resilienz trainieren?

Unsere Resilienz stärken wir am meisten, indem wir Krisen und Konflikte durchlaufen. Solche Konflikte, aber auch das Scheitern, das Fehler machen und die Konsequenzen für das eigene Handeln tragen: all das stärkt Resilienz.

Wie haben Sie persönlich die vergangenen Monate erlebt?

Ich habe drei Kinder, die von einem auf den anderen Tag nicht mehr in die Schule durften und ich habe gleich zu Beginn der Corona-Maßnahmen 90 Prozent meiner Aufträge verloren. Das hat mich durchaus aus der Bahn geworfen.

Aber nach ein wenig Nachdenken und zusammen mit meinem sozialen Netz sind die ersten konstruktiven Ideen entstanden. Ich habe gelernt, mehr im Team zu arbeiten. Und ich habe mich viel intensiver mit digitalen Werkzeugen und Medien beschäftigt und bin darüber zu den ersten Seminaren gekommen, die ich online gegeben habe. So habe ich diese Krise mit all ihren Symptomen zumindest bis jetzt einigermaßen gut überstanden und fühle mich tatsächlich sogar gestärkt.

Wie sind Sie mit der fehlenden Nähe zu Ihren Kund*innen umgegangen?

Auch das ist ein Entwicklungsprozess. Vor ein paar Wochen habe ich zusammen mit einer Kollegin für einen Kunden ein Seminar zu einer Online-Veranstaltung umgebaut – inklusive eines neuen didaktischen Konzepts. Vor einem Jahr war ich noch überzeugt, dass das nicht gehen kann, dass Kommunikation in einem Seminar    ohne körperliche Eindrücke nicht funktioiert. Doch  wir haben das auch im virtuellen Raum hinbekommen, hatten eine irre Teamdynamik und wirklich berührende Begegnungen. Ich würde heute noch immer nicht sagen, dass wir jede Live-Veranstaltung durch ein virtuelles Seminar ersetzen sollten. Aber ich habe gelernt, dass digitale Technologien in Kombination mit einer passenden Didaktik unglaublich viel möglich machen.

Bedeutet das, dass menschliche Zugewandtheit auch ohne physische Kontakte möglich ist?

Es ist möglich, weil wir in diesen Zeiten oft bewusster mit unseren Mitmenschen umgehen. Im Büro treffen wir uns selbstverständlich und gucken meist dann doch nicht so genau hin. Aber wenn wir uns eben nicht mehr anlasslos treffen, müssen wir bewusst Kontakt zu unseren Kolleg*innen aufnehmen und gezielt nachfragen, was sonst beiläufig abgehandelt wird. Daraus kann durchaus eine größere Zugewandtheit resultieren. Corona lädt uns ein, uns aktiv  umeinander zu kümmern.

Resilienz gilt im Kern als die Widerstandsfähigkeit von Individuen. Wie lässt sich diese Fähigkeit auf Unternehmen übertragen?

Resilienz von Individuen zeigt sich oft darin, dass sie auch in belastenden oder konfliktträchtigen Situationen die emotionale Kontrolle behalten und Entscheidungen in Ruhe treffen. Diese Fähigkeit lässt sich auf Unternehmen übertragen: Probleme in Ruhe zu betrachten und überlegen, wie man damit umgeht.

Zu Resilienz gehört auch eine gewissen Widerstandsfähigkeit. Wir haben lange gedacht, dass Unternehmen nur dann gut funktionieren, wenn sie das Arbeitsumfeld angenehm gestalten, so dass die Mitarbeiter*innen zufrieden sind, an ihren Aufgaben wachsen und im Ergebnis dann produktiv arbeiten. Das greift aber aus meiner Sicht zu kurz: Wer Resilienz im Unternehmen will, muss einzelne Prozesse immer mal wieder umgestalten. In letzter Konsequenz geht es sogar darum, ganze Unternehmen immer mal wieder aus der Komfortzone zu schubsen. Damit trainiere ich die Fähigkeit, flexibel, kreativ und eigenverantwortlich mit neuen und unbekannten Situationen umzugehen.

Was ist die größte Falle, die es im Unternehmen auf dem Weg zur Resilienz zu umgehen gilt?

Der größte Fehler ist, Resilienz mit Stressresistenz zu verwechseln. Es ist nicht das Ziel, sich zu entspannen und eine bessere Work-Life-Balance hinzubekommen. Resilienz ist immer unbequem und nie ein Kuschel- und Wohlfühlprogramm, sondern piekst ein bisschen.

Welche Hausaufgaben müssen Unternehmensentscheider*innen erledigen, um ihr Unternehmen resilient zu machen?

Sie sollten ihre eigenen Strukturen auf den Prüfstand stellen: Wie beweglich sind das Unternehmen und alle Mitarbeiter*innen, die dort arbeiten? Und beziehen wir alle Menschen im Unternehmen ein? Wenn nicht: Was können wir tun, um das zu ändern?

Einer der Faktoren, die viele Unternehmen unbeweglich machen, ist eine starke Konzentration der Entscheidungsprozesse auf wenige Personen. Denn wenn es darum geht, dass alle mit anpacken, dann haben die, die nie durften, in diesem Moment keine Lust dazu. Entscheider*innen müssen alle Stakeholder beteiligen und dafür sorgen, dass sie sich mit ihrer Kreativität und ihren Ideen einbringen können.

Das klingt sehr nach agilem Arbeiten….

So ist es…

…bei dem Technologieunternehmen traditionell einen gewissen Vorsprung haben.

Zumindest bei meinen Kunden bestätigt sich dieser Eindruck. Diejenigen, die aus dem IT-Bereich kommen, tun sich damit leichter als Unternehmen aus den klassischen Industrien und der Öffentlichen Verwaltung. Die setzen noch sehr häufig auf stabile, hierarchisch streng geordnete Strukturen. Flexibles Arbeiten, Home Office, verteilte Teams: Das wird vor allem in IT-Unternehmen praktiziert, die damit offener und wandlungsfähiger sind – und oft auch resilienter.

Frau Precht, herzlichen Dank für das Gespräch!

Menschen können resilient sein, aber auch Organisationen. Die Analysten von Accenture gehen noch einen Schritt weiter und sprechen sogar von der Resilienz von IT-Systemen. Technisch gesehen geht es dabei um „Business Continuity“, also um die Fähigkeit von IT, jede Geschäftstätigkeit auch unter schwierigen Bedingungen aufrecht erhalten zu können. Über diese gleichermaßen strategische wie technische Aufgaben wird es im kommenden Beitrag dieser Reihe gehen

 


Isabel Richter,
Senior Communications Manager Corporate Communications

Profilbild von Isabel Richter, Corporate Communications und Analyst Relations

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