Julia Kasper arbeitet in Redmond und „lebt ihren Traum“, wie sie erst neulich in einem Interview mit DIE ZEIT sagte. Sie wirkt als Program Managerin in der Developer Division (DevDiv) der Microsoft Corporation daran mit, Developer Tools zu entwickeln und mit einer vollständigen Produktgeschichte zu erklären. Im Interview erzählt sie uns von ihrer persönlichen Geschichte, die in München begann und sie in die Konzernzentrale von Microsoft brachte.
Program Manager (PM) bei Microsoft begleiten die Produkte, die insbesondere auf dem Microsoft-Campus in Redmond entstehen. Als End-to-End-PM, wie Julia es zunächst war, sind sie für den gesamten Lebenszyklus von Produkten zuständig – von der Idee über Projektskizzen bis hin zur Entwicklung, dem Testing und der Vermarktung. In ihrer aktuellen Rolle als Feature Program Managerin kümmert sich Julia Kasper nun stärker um die Produkte selbst und um einzelne Funktionen der Programme und Anwendungen.
Leidenschaft für Fusion Development
Die Rolle als „PM“, wie Julia sie nennt, füllt die junge Frau aus Deutschland seit rund einem Jahr in der Firmenzentrale von Microsoft in der Nähe von Seattle aus. Seitdem beschäftigt sie sich mit dem Thema Fusion Development. Das ist ein Ansatz in der Software-Entwicklung, der auf der Integration verschiedener Technologien und Plattformen basiert, um schnell und effektiv maßgeschneiderte Anwendungen zu erstellen. Fusion Development kombiniert traditionelle Anwendungs- und Datenintegrations-Technologien, Low-Code-Entwicklung, Automatisierungswerkzeuge und Cloud-Services.
In ihrer Tätigkeit arbeitet Julia ganz im Sinne dieses Ansatzes mit einem breit aufgestellten Team von Entwickler*innen zusammen, mit dem sie Ideen für neue Funktionen, für eine bessere Benutzungsführung oder auch die Vermarktung der Anwendungen und Programme bespricht. Im Grunde aber, so sagt sie im Gespräch, besteht ein großer Teil ihres Tages darin, auf die zahlreichen „Fire Drills“ zu reagieren – also die vielen kleinen Brände zu löschen, die bei der Entwicklung komplexer Anwendungen beinahe zwangsläufig und nahezu täglich aufflammen.
Mit Babysitting zu den ersten Programmiersprachen
Die Leidenschaft, sich gleichzeitig mit der Entwicklung und Vermarktung von IT-Produkten zu beschäftigen, wurde Julia sehr früh von zuhause aus mitgegeben. Wenn die anderen Kinder in der ersten Klasse von ihren Weihnachtsgeschenken berichteten – in der Regel von Puppen, Fahrrädern oder Modellautos – dann erzählte Julia eher von Computer-Lernspielen oder Physik-Baukästen. Verantwortlich dafür war ihr Vater, der „irgendwas mit IT“ machte, bei einem Mittelständler in Julias bayerischem Heimatdorf. Zu Hause schraubte er dann noch mit Julia Computer auseinander – nicht ohne ihr genau zu erklären, welche Teile sie dabei in der Hand hatten und wofür sie gut waren. „Damit hat er bei mir definitiv die Neugier und das Interesse für IT geweckt“, sagt Julia rückblickend.
Das Marketing kam nur wenig später dazu, mit 13, als Julia Kasper sich ihr Taschengeld mit Babysitting aufbesserte. Um dieses Business weiterzuentwickeln, sprich: noch mehr Kinder zu hüten, schlug ihr Vater vor, sie solle doch eine Webseite aufsetzen und so ein bisschen Werbung machen. Dafür lernte Julia die ersten Programmiersprachen HTML und CSS kennen. Auch wenn aus dem geplanten Babysitter-Business dann nichts wurde: Die Grundlage für die spätere Karriere in der IT war damit gelegt!
Studium, Praktikum, Profession
Dennoch schlug Julia danach nicht den klassischen Weg in die IT ein und studierte Informatik, sondern machte zunächst an der Hochschule München einen Bachelor in Wirtschaftsingenieurwesen, der sie fast in die Automobilindustrie geführt hätte. Im Master schlug sie dann einen neuen Pfad ein, studierte Wirtschaftsinformatik an der TU München und entwickelte erste Apps mit Python.
Zu Microsoft kam sie 2019 über ein Praktikum, in dem sie sich in der Marketingabteilung der deutschen Niederlassung unter anderem um Webinare und Customer Showcases kümmerte. Anschließend begleitete sie noch rund eineinhalb Jahre als Modern Work Consultant den produktiven Einsatz von Microsoft Teams und betreute das Thema „Workplace Analytics“. Schon in dieser Rolle war sie mit Entwicklung und Vermarktung betraut, arbeitete im Lösungsdesign, im Debugging oder mit Webtechnologien wie Node.js und TypeScript.
„Ich bin keine klassische Entwicklerin“, stellt Julia klar. „Aber meine Fähigkeiten in Mathematik und strategischem Denken und mein Verständnis für IT haben mich dazu gebracht, noch mal mehr in Richtung Development zu gehen. Ich mag es sehr, an der Schnittstelle zwischen Entwickler*innen und Kunden zu arbeiten“, beschreibt sie ihre Leidenschaft genauer – und damit im Grunde auch genau den Job, den sie gerade macht. Grinsend fügt sie an: „Mein Partner sagt immer über mich: ‚Julia liebt ihren Job einfach‘“.
Seit Januar 2022 arbeitet sie von Redmond aus, einem kleinen Städtchen mit gerade einmal 73.000 Einwohner*innen, von denen ein großer Teil bei Microsoft arbeitet.
Auf dem Weg nach Redmond
Nach Redmond wollte sie, um näher an der Entwicklung der Microsoft-Anwendungen zu sein. „Mir ist irgendwann ein Problem bei einem Produkt aufgefallen. Ich habe damals den zuständigen Product Manager in der Microsoft-Zentrale gesucht, ihn darauf angesprochen und wir haben anschließend in einem Call darüber geredet“, erinnert sich Julia – aber nicht nur sie.
Auch dem damaligen Product Manager blieb dieser Blick fürs Ganze im Kopf. Als ein Job in seinem Team frei wurde, fragte er Julia direkt, ob sie nicht Lust darauf hätte, sich zu bewerben und ihn zu unterstützen – remote, von Deutschland aus. Julia bejahte, im anschließenden Bewerbungsprozess kam dann aber auch die Frage auf, was sie von einem Umzug in den Nordwesten der USA hielte.
Und wieder zögerte Julia nicht: „Es ist für meinen Partner und mich ein echtes Abenteuer, ein unbekanntes Land, neue Leute und eine andere Kultur kennenzulernen“, sagt sie zu ihrer Entscheidung. „Aber ehrlicherweise ist es auch einfach aus Karrieregründen eine gute Idee, bei der Corporation und ganz eng mit den Entwickler*innen zu arbeiten, die ich hier auf eine ganz andere Weise kennenlernen kann.“
Ein echter Kreativjob
Dort ist sie also jetzt tätig, an der Schnittstelle zwischen Entwicklung und Vermarktung. So, wie sie es wollte. „Für mich ist dieser Job etwas sehr Kreatives, weil ich dabei sein darf, von null aus etwas zu erschaffen. Anders als Maler*innen oder Bildhauer*innen arbeiten wir mit Ressourcen, die wir nicht anfassen können. Aber wir schaffen daraus etwas, mit dem wir die Welt verändern. Meine Leidenschaft und die Faszination für den Job kommen ganz sicher aus diesem kreativen Freiraum.“
Apropos Raum: Statt wie bei Microsoft in Deutschland, wo sich jede*r Mitarbeitende morgens selbst einen freien Schreibtisch fürs Tagwerk aussuchen kann, gibt es in Redmond sogenannte Team-Räume, in denen Program Manager wie Julia und Entwickler*innen, aber auch UX-Designer*innen und Researcher zusammensitzen.
Wenn es um den kreativen Freiraum geht, ist es Julia wichtig, sich diesen im Job bewusst zu schaffen – neben der täglichen Arbeit als „Feuerwehrfrau“ in den laufenden Projekten und als Visionärin bei der Ausarbeitung neuer Features für Programme. Für sie ist deshalb der Freitag zum Meeting-freien Tag geworden, den sie sich für eigene Projekte, kleine Fingerübungen in der Programmierung mit der Microsoft Power Platform und Azure Functions oder für ausgedehnte Produkttests nimmt. Das hilft Julia dabei, die Perspektive zu wechseln und sich wirklich mit dem Produkt auszukennen.
Das Große und Ganze im Blick – ohne die Details aus den Augen zu verlieren
Im Alltag ist Kommunikation ein großer Teil ihres Jobs. Sie diskutiert off- und online mit anderen PMs, mit den UX-Designer*innen und den Research-Leuten aus ihrem Team darüber, wie sich die Produkte verändern müssen, um noch besser am Markt bestehen und die Wünsche der Nutzer*innen erfüllen zu können. Und sie spricht oft mit den Entwickler*innen, die dann umsetzen, was zuvor besprochen wurde. Und das nicht nur einmal: „Wir arbeiten in Zyklen“, sagt Julia, denn nach der letzten Anpassung wartet schon die nächste.
Es ist außerdem Teil ihres Jobs, sowohl das Große und Ganze eines Produkts als auch die vielen Details zu beachten, die ein Programm ausmachen. Einzelne Funktionen, die Benutzungsführung, die Integration von Daten oder die Möglichkeit für Erweiterungen: Es sind oft die vielen kleinen Dinge, die den Wert und die Nützlichkeit von Programmen ausmachen.
Authentizität gegen das Impostor-Syndrom
In Redmond traf Julia schnell Menschen, die sie bereits aus den Webinaren kannte, die sie für Microsoft Deutschland organisiert hatte, oder aus internationalen Konferenzen und Präsentationen. Scott Hanselman, den wir auch in dieser Reihe schon porträtiert haben, war einer von ihnen. Angesichts dieser geballten Kompetenz ist es naheliegend, zumindest hin und wieder einzelne Symptome des sogenannten Impostor-Syndroms zu zeigen. Bei diesem psychologischen Phänomen werden hochqualifizierte Menschen von massiven Selbstzweifeln geplagt und kommen dadurch kaum noch zum Arbeiten.
Auch Julia kennt dieses Gefühl, aber da macht es ihr die Firmenkultur in Redmond leicht: „Ich habe hier das Mindset kennengelernt, dass man sich alles erarbeiten und alles lernen kann, was man braucht. Mein Interesse und mein Spaß am Job machen die Sache dann nochmal einfacher“, sagt sie dazu. Und dann habe es ihr auch geholfen, sich selbst nicht zu sehr unter Druck zu setzen – bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass sie, wie sie sagt, selbst ihre schärfste Kritikerin ist. „Ich habe erst gar nicht versucht, diesen tollen Leuten hier nachzueifern“, erinnert sie sich an die ersten Schritte in der neuen Umgebung. „Stattdessen habe ich mich bemüht, authentisch zu sein. Das hat schnell gute Gespräche ergeben und es hat sich für mich daraus eine andere Art entwickelt, mit meinen Kolleg*innen auf Augenhöhe zu kommunizieren.“ Jeder Mensch hat seine Stärken, fügt sie dann noch hinzu, genau das sei ja der Grund, warum jemand einen Job bekommt. „Mir hat es hier sehr geholfen, mich auf meine Skills zu besinnen.“
Julia ist – nach einem guten Jahr in den USA – angekommen, in ihrem Job, in einer neuen Kultur und in einem neuen Selbstverständnis über ihre eigenen Stärken. Wie lange sie das machen wird? „Das weiß ich noch nicht“, sagt sie. „Vielleicht drei Jahre, aber mein Partner und ich sind da flexibel. Niemand von uns weiß, wie sich das entwickeln wird.“
Brauchen wir Entwickler*innen künftig überhaupt noch?
Trotzdem ist sich Julia sicher, dass es ihren Job auch in drei Jahren noch geben wird, und das ist angesichts der rasanten Entwicklungen in Verbindung mit künstlicher Intelligenz (KI), wie sie unter anderem Microsoft zusammen mit OpenAI aktuell vorantreibt, längst keine Selbstverständlichkeit.
ChatGPT oder GitHub Copilot beispielsweise können auch Codezeilen erstellen, also warum brauchen wir überhaupt noch Entwickler*innen? Zumal ja auch längst Low-Code- und No-Code-Werkzeuge wie Power Platform bereitstehen, die eine Software-Entwicklung, etwa von einfachen Apps und Webseiten, weitgehend ohne IT-Fachkenntnisse ermöglichen. „Ich bin mir sicher“, sagt Julia Kasper, „dass wir auch in Zukunft noch Fachleute für das Coden brauchen. Generative KI kann uns einen Teil der Arbeit abnehmen, das ist toll, denn dann haben wir Zeit für unsere anderen Aufgaben: Wir können uns intensiver um unsere Kunden kümmern, um unsere Visionen und darum, wie wir diese Visionen in die Wirklichkeit bringen.“ Es entstehen gerade also neue Freiräume. Wir sind gespannt, was noch kommt!
Ein Beitrag von Bosse Kubach
Commercial Communications Manager Innovation
und Rebecca Nothvogel
Trainee Commercial Communications Innovation