Es gab nie bessere Zeiten für Entwickler*innen: Nach Schätzungen von IDC werden bis 2023 mehr als 500 Millionen digitale Anwendungen und Dienste mit Cloud-nativen Ansätzen entwickelt und bereitgestellt. Das entspricht der Gesamtanzahl aller in den vergangenen 40 Jahren entwickelten Apps. Doch diese exponentiell wachsende Zahl lässt sich nur dann bewältigen, wenn auch der Arbeitsmarkt für Programmierer*innen um 175 Prozent wächst. Darum geht es auch in dieser Woche bei unserem Microsoft Azure Solution Summit. Und nicht nur Programmierkenntnisse sind in Zukunft immer stärker gefragt: Mehr als 50 Prozent der Fachkräfte müssen künftig Entscheidungen treffen, die strategische oder technologische Weichen für ein Unternehmen stellen.
Auf der anderen Seite stehen Konzepte wie Low Code oder No-Code, die keine großen Informatik-Kenntnisse erfordern. Sie ermöglichen das Entwickeln neuer Software auch für Leute, die zum Beispiel in Marketing und Vertrieb, Produktentwicklung, Fertigung oder Controlling arbeiten. Diese sogenannten Citizen Developer verstehen ihre Unternehmen und haben ganz spezielle wertvolle Fachkenntnisse. Sie sind nur eben nicht als professionelle Entwickler*innen ausgebildet. Auf dem Azure Solution Summit haben wir uns deshalb mit der Frage auseinandergesetzt, warum Software-Entwickler*innen sich mit diesen Konzepten auch dann beschäftigen sollten, wenn sie dadurch einen Teil ihrer Aufgaben abgeben.
Low Code und No-Code helfen Unternehmen bei der Entwicklung von Anwendungen
Bei Low Code werden neue Anwendungen fast komplett ohne Programmierung über eine Art Baukastenprinzip entwickelt. Und No-Code-Anwendungen kommen sogar ganz ohne Code aus, weil sie stattdessen spezielle Bausteine nutzen. Deshalb kann man für solche Anwendungen auch keine Erweiterungen programmieren und die Anbindung an komplexe Systeme oder Datenbanken ist nicht möglich. Doch dieser Nachteil gegenüber Low Code wird bei einfachen Services, die nur leicht überschaubare Aufgabenstellungen erfüllen sollen, durch die höhere Entwicklungs- und Auslieferungsgeschwindigkeit wieder wettgemacht.
Beide Konzepte sind eine große Chance für Unternehmen und werden durch die Power Platform von Microsoft unterstützt. Sie können mit den Anforderungen der Fachbereiche mithalten, die immer mehr neue Anwendungen benötigen. Das ist bei dem aktuellen IT-Fachkräftemangel ein großer Vorteil, denn die Antwort auf die Ebbe am Arbeitsmarkt lautet dann: Die Citizen Developer, also das dringend benötigte IT-Personal, ist schon in den Unternehmen und hoch qualifiziert. Die eigenen Mitarbeiter*innen bringen schon fast alles mit, was sie zur Software-Entwicklung benötigen. Es fehlt allenfalls an Spezialkenntnissen für die Low-Code- und No-Code-Entwicklung oder die produktive Nutzung von Daten, die sich mit einem überschaubaren Aufwand erlangen lassen.
Pro Code vs. Low Code
Die Konzentration auf die Ausbildung immer neuer Entwickler*innen hilft auch aus einem anderen Grund nicht weiter: Der traditionelle Ansatz der „Code First“-Entwicklung führt Unternehmen immer häufiger in Sackgassen – und zwar nicht nur wegen der fehlenden Fachkräfte. Oft ist der aufwändig programmierte, getestete und versionierte „Pro Code“ auch schlicht zu schwerfällig, um die steigende Nachfrage nach kleinen agilen Services und schnellen Roll-outs zu befriedigen. Der wachsende Bedarf wird sich mit klassischen Entwickler*innen nicht decken lassen. Low Code und No-Code können dagegen die Entwicklungsgeschwindigkeit deutlich erhöhen und sind damit viel eher in der Lage, die Nachfragelücken zu schließen.
Entwickler*innen sind keine aussterbende Spezies
Da stellt sich die Frage: Sollten sich eigentlich auch professionelle Softwareentwickler*innen mit Low Code und No-Code beschäftigen, obwohl sie dadurch einen Teil ihrer Aufgaben abgeben? Die kurze Antwort ist: Ja. Der Verzicht auf die reine Programmierung macht den Job von Entwickler*innen nicht überflüssig. Das Testen von Software, Code-Reviews, das Entwickeln und Anpassen von User Interfaces, die Versionierung, das Integrieren von Anwendungen in unterschiedliche Systeme und Datenquellen sowie die Bereitstellung von APIs, Datenbanken und Sicherheits-Tools – all das verlangt nach den fachlichen Skills versierter IT-Pros.
So gesehen können die Programmier-Profis mit den Entwickler*innen aus den Fachbereichen produktive und effiziente Teams bilden. Sie haben unterschiedliche, voneinander völlig unabhängige Aufgaben. Aber es gibt auch viele Schnittmengen, in denen beide Seiten ihre Fähigkeiten einbringen und nutzen können. „Die wahre Stärke bei der Verwendung einer Low-Code-Anwendungsplattform entsteht durch die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Gruppen“, heißt es in einem Microsoft-Leitfaden für Führungskräfte in der Anwendungsentwicklung.
Fusionsentwicklung: Fachbereiche und IT-Pros kooperieren
Bei der sogenannten Fusionsentwicklung kooperieren beide Gruppen. Die Apps werden von den Citizen Developers mit Low-Code-Technologie erstellt. Aber sie hängen von Diensten oder Erweiterungen ab, die von den Pro-Code-Entwickler*innen kommen. Professionelle Entwickler*innen können zudem wiederverwendbare Bestandteile und zusätzliche Komponenten für Low-Code-Anwendungen erstellen, die individuelle Unternehmensstandards erfüllen oder die Grundlage komplexerer Szenarien sein können. Ohne professionelle Entwickler*innen ist die Fusionsentwicklung nicht denkbar.
Als Entscheider*innen mit einem breiten IT-Fachwissen sind klassische Developer in der Regel zudem die erste Anlaufstelle für ihre Kolleg*innen, die Software benötigen, aber sie nicht selbst entwickeln können. IT-Fachleute können am besten beurteilen, welche Fähigkeiten dafür gebraucht werden. Als Projektmanager*innen können sie zudem die Teams dafür zusammenstellen, als fachliche Ansprechpartner*innen und Schnittstellen zu den Fachbereichs-Entwickler*innen arbeiten und so das technische Fundament für die Low- und No-Code-Anwendungen legen.
Power Apps und Azure API Management
Microsoft bündelt seine Low-Code- und No-Code-Ansätze in den Power Apps und im Azure API Management. Mit API Management können professionelle Entwickler*innen benutzerdefinierte Konnektoren bauen, um den Fachbereichs-Entwickler*innen in PowerApps Zugriff auf Cloud-Ressourcen zu geben. Diese können ihre Entwicklungsaufgaben über visuelle Tools und ohne Code erledigen und als App auf beliebige Geräte ausrollen. Die professionelle Basis des Konzepts unterstreicht auch die mögliche Integration etwa der Machine-Learning-App Lobe und des AI Builders, über die datenbasierte Modelle trainiert und in die Power Platform exportiert werden können. Unsere Entwicklungsplattform GitHub ermöglicht das Code Sharing, damit professionelle Entwickler*innen und Citizen Developers gemeinsam am Code arbeiten können. Dabei ist auch die Code History einsehbar. Mittlerweile gibt es sogar die Möglichkeit, den Code von Power Apps im YAML-Format zu sehen, das auch Menschen wie normalen Text lesen können. Mit der Visual Studio Code Extension können die Teams ihre Apps einfach entpacken, in Visual-Studio-Code integrieren und bearbeiten.
Mehr als 500.000 Unternehmen weltweit nutzen derzeit bereits Low-Code-Tools von Microsoft, darunter 97 Prozent der Fortune 500-Unternehmen. Die Analyst*innen von Gartner prognostizieren, dass Low-Code-Technologie bis 2025 bei rund 70 Prozent der Entwicklungen von Unternehmensanwendungen verwendet wird. Der Bedarf an ausgebildeten Entwickler*innen wird nicht schrumpfen, auch wenn sie einen Teil ihrer klassischen Aufgaben an die Fachbereiche abgeben oder an neue Entwicklungen anpassen müssen. Ihre Jobs werden sich wandeln, aber das ist kein neuer Trend, sondern Teil jeder modernen Berufsbiografie – und damit kein Grund zur Sorge. Nur im Zusammenspiel von klassischen Informatiker*innen und Entwickler*innen aus den Fachbereichen wird es möglich sein, den wachsenden Bedarf an Applikationen in den kommenden Jahren zu befriedigen.
Zum Weiterlesen:
- Microsoft-Leitfaden für Führungskräfte in der Anwendungsentwicklung, Warum Profi-Entwickler*innen für den Low-Code-Erfolg mit Power Apps entscheidend sind
- Low Code und No-Code in kleinen und mittelständischen Unternehmen, Domänenwissen schlägt Coding-Skills: Software entwickeln mit Low Code, No Code und GPT-3
Ein Beitrag von Bosse Kubach
Trainee Business Communications Digital Qualification & Innovation / Data Applications & Infrastructure