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Neugestaltung der Bahn für das digitale Zeitalter

2021 feiern wir das Europäische Jahr der Schiene – ein perfekter Anlass, um über die fast 200 Jahre nachzudenken, in denen die Bahnbetreiber Europas den weltweiten Goldstandard für den Zugverkehr zwischen Städten, Ländern und sogar Kontinenten gesetzt haben. Angefangen bei den ersten dampfbetriebenen Lokomotiven der 1820er Jahre bis hin zu den Fernzügen wie dem Orient Express, die noch immer eindrucksvolle Bilder von Luxus und Glamour heraufbeschwören.

Während der grenzüberschreitende Zugverkehr in Europa Ende des 20. Jahrhunderts angesichts der steigenden Nachfrage nach Billigflugreisen zurückging, ist Bahnfahren heute wieder im Kommen. Ein Trend, der von EU-Politikern begrüßt wird, die den Schienenverkehr Europas als wichtigen Bestandteil eines umweltfreundlicheren Mobilitätsmix ansehen.

Um den Erwartungen der Fahrgäste des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden, setzen die Bahnunternehmen zunehmend auf die Cloud.

*Schlüsselstatistik zur Veranschaulichung: Die Fahrgastkilometer im europäischen Schienenverkehr haben in den letzten fünf Jahren um 10 % zugenommen (Quelle: McKinsey)*

Informationen und Verfahren auf Kurs

In ganz Europa ist das Bahnhofspersonal tagtäglich mit verschiedensten Störfällen konfrontiert, von defekten Aufzügen bis hin zu Trampolinen auf der Bahnstrecke – Situationen, die zu Verspätungen führen. Für die Fahrgäste sind solche Verspätungen besonders frustrierend, da sie nur unzureichende Informationen erhalten. Dies liegt oft an veralteten Verfahren für das Störfallmanagement, die zu einer weiteren Verschärfung der Situation führen können.

Um effizienter mit Problemen umzugehen, haben die Mitarbeiter*innen der belgischen Eisenbahngesellschaft SNCB das bestehende Verfahren für das Störfallmanagement umgestaltet. Unter Verwendung von Teams, der cloudbasierten Plattform für Zusammenarbeit von Microsoft, haben sie einen optimierten, integrierten Workflow geschaffen. Die Auswirkungen zeigten sich fast sofort.

„Das Problem war, dass sich jeder an die Fahrgastkoordinator*innen wandte, um Informationen zu erhalten. So kam es zu Engpässen, die Koordinator*innen stellten die einzige Informationsquelle dar“, erklärt der Leiter für das Gebiet Antwerpen, Lode Van Steenberge. „Wir haben in Teams eine Gruppe für das Störfallmanagement eingerichtet und Kanäle für kritische und nicht kritische Vorfälle hinzugefügt. Jetzt haben wir ein allgemeines Forum und können so viel schneller zusammenarbeiten und Vorfälle klären.“

Die Fahrgastkoordinator*innen füllen jetzt über Microsoft Forms ein Vorfallformular aus und startet einen Power Automate-Workflow in Teams, um alle betroffenen Parteien zu informieren. Kolleg*innen können dann Bilder posten oder relevante Informationen hinzufügen und so zur Problemlösung beitragen.

Van Steenberg stellt auch fest, dass kleinere Vorfälle, bei denen es früher lange gedauert hat, geeignete Ansprechpartner*innen zu finden, jetzt viel schneller gelöst werden können, da die richtigen Personen einbezogen sind.

„Manchmal dauert es Stunden, Probleme zu beheben, doch wenn Sie sich an die richtige Person wenden, ist das Problem in 5 Minuten lösbar“, erklärt er. „Erst kürzlich hat ein Kunde ein Foto von einem lockeren Nagel aufgenommen und darauf hingewiesen, dass dies gefährlich ist. Wir haben das Bild an unser Wartungsteam am Bahnhof gesendet und so konnte das Problem mit einem Hammerschlag gelöst werden. Zuvor konnte ein so einfaches Problem manchmal Stunden in Anspruch nehmen.“

Für den effizienteren Umgang mit Vorfällen haben die Mitarbeiter*innen der Eisenbahngesellschaft SNCB das bestehende Verfahren für das Störfallmanagement umgestaltet und mithilfe von Microsoft Teams einen optimierten, integrierten Workflow geschaffen.

Bessere Signale

Zwar gibt es in den meisten großen Bahnhöfen in ganz Belgien elektronische Signaltafeln, in vielen kleineren Bahnstationen haben die Zugführer*innen bislang jedoch eine Pfeife verwendet, um den Lokführer*innen mitzuteilen, dass der Zug abfahrbereit ist.

Um ein universell einsetzbares System zu schaffen, hat die SNCB die Linda-App in Azure entwickelt. Mit der Linda-App können die Zugführer*innen bei der Abfahrt auf intelligentere, sicherere und effizientere Weise mit den Lokführer*innen kommunizieren, erklärt Kevin Vermeylen, Lokführer der SNCB.

„Mit einem Wisch über das Display informieren die Zugführer*innen das Stellwerk, dass der Zug abfahrbereit ist. Daraufhin wird auf allen Informationsbildschirmen eine Meldung angezeigt, dass der Zug in Kürze abfahren wird und keine Fahrgäste mehr einsteigen können,“ erklärt er. „Nun schließen die Zugführer*innen alle Türen, wischen erneut über das Display und dieses Signal wird über sein Tablet an die Lokführer*innen gesendet. Diese wissen jetzt, dass alles in Ordnung ist und der Zug abfahren kann. Damit wird nicht nur ein einheitlicherer Ablauf der Zugabfahrt an allen Bahnstationen erreicht, die Zugführer*innen haben zudem mehr Zeit, auf einen sicheren Ablauf zu achten“, meint Vermeylen.

Auch kann er jetzt leichter auf die Regelbücher für Lokführer zugreifen, da diese in eine Azure-Cloudlösung namens E Drive übertragen wurden.

Seit den 1930er-Jahren wird das Regelbuch, das die Lokführer*innen über Änderungen der Verkehrsregelung informiert, in Papierform bereitgestellt. Die Fahrer*innen mussten also bislang schwere Informationspakete mit sich führen. Bei Änderungen der Regelungen mussten Seiten ausgetauscht werden. Da es relativ oft Aktualisierungen gab, war es schwierig, auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Dies hatte zur Folge, dass die Lokführer*innen unterschiedliche, teilweise veraltete Regelbücher verwendeten.

Heute finden zweimal im Jahr Änderungen der Regelungen statt. Die Lokführer*innen wurden mit Tablets ausgestattet, um die Papierflut zu verringern. Doch auch bei der digitalen Version mussten die Lokführer*innen bei Aktualisierungen eine PDF-Datei herunterladen. Die Synchronisierung mit ihrem Gerät dauerte anfangs manchmal bis zu 20 Minuten. E Drive hat diese Zeit erheblich verkürzt.

„Jetzt müssen wir keine Aktualisierungen mehr herunterladen, wir können sie einfach im Internet, in der Cloud nachschlagen“, so Vermeylen. „Das geht viel schneller, somit können wir den Zeitaufwand auf ca. 5 Minuten zu Beginn jeder Schicht verringern.“ 

Das bedeutet nicht nur einen Zeitgewinn für die Lokführer*innen, die SNCB spart zudem rund 400 kg Papier pro Monat – das entspricht 18 Bäumen pro Jahr.

Vor der Pandemie sorgte die Seat Finder-App der Niederländischen Eisenbahnen AG dafür, dass pro Tag zusätzlich 20.000 Menschen einen Sitzplatz finden konnten.

Verbesserung des Fahrgasterlebnisses mithilfe von Datensignalen

Jeder, der zu Stoßzeiten Pendlerzüge nutzt, kennt das Problem: Es kann extrem voll werden. Das ist nicht nur unangenehm, sondern kann auch gefährlich sein.

Die Niederländische Eisenbahnen AG wollte sich dieser Herausforderung stellen. Täglich werden auf dem niederländischen Schienennetz rund 1,1 Millionen Fahrgäste befördert.

„Regelmäßig haben sich Fahrgäste beschwert, dass die Züge zu voll seien und es keine Sitzplätze gebe“, erklärt Leo van der Meulen, Unternehmensberater bei Advanced Analytics, dem Betreiber der Bahn. „So haben wir angefangen, zu untersuchen, wie wir das Problem lösen können. Wir waren überrascht, herauszufinden, dass die Züge nur selten voll waren, zu Stoßzeiten waren einige Züge mit 1.000 Sitzplätzen nur mit 600 Personen belegt.“

Das lag daran, dass sich die Leute in bestimmten Wagen drängten, um am Zielbahnhof möglichst nahe am Ausgang zu sein – in der Hoffnung, Zeit zu sparen.

„Als Fahrgäste aus anderen Teilen des Zuges an planmäßigen Haltestellen ausstiegen, blieben riesige Bereiche des gesamten Zugs leer“, erklärt van der Meulen. „Das Problem dabei: Da die Leute in den einzelnen Wagen oft an denselben Haltestellen ausstiegen, gab es auch Wagen, die voll waren. Die Fahrgäste wussten einfach nicht, dass sie einen Sitzplatz finden könnten, wenn sie einen anderen Wagen aufsuchen würden.“

„Es geht wirklich nicht nur darum, unsere Pünktlichkeit zu verbessern, um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, sondern auch darum, unsere Kund*innen wirklich kennenzulernen.”

Zur Behebung dieses Problems hat die Niederländische Eisenbahnen AG die Seat Finder-App entwickelt. Die Lösung verwendet verschiedene Spursensoren, um die Gewichtsverteilung in den einzelnen Wagen zu messen. Diese Informationen durchlaufen dann eine Kombination von Tools für die erweiterte Analyse – einschließlich Power BI, HDInsight, Analysis Services und Machine Learning-Modellen – auf der Azure-Plattform, um die Anzahl der Personen in den einzelnen Wagen zu bestimmen. Die Daten werden dann in der App visualisiert, sodass die Fahrgäste in Echtzeit Informationen darüber erhalten, wo Sitzplätze frei sind, und nicht mehr dicht gedrängt reisen müssen.

„Die App ist für jeden Fahrgast personalisiert. Das ist wichtig, denn wenn der Vorderteil des Zuges stark belegt ist und wir alle auffordern, sich in den hinteren Zugteil zu begeben, schaffen wir einfach ein neues Problem“, erklärt van der Meulen. „Das Tolle daran ist, dass sogar die Lokführer*innen die App nutzen. Wenn ein Zug besonders stark ausgelastet ist, informieren sie die Menschen über das Lautsprechersystem darüber, wo es ruhiger ist und mehr Sitzplätze verfügbar sind. Die Leute wissen das wirklich zu schätzen.”

Vor der Pandemie konnten dank der App pro Tag zusätzlich 20.000 Menschen einen Sitzplatz finden. Damit stieg die Kundenzufriedenheit auf 80 %, die Service-Pünktlichkeit auf über 92 % und die Bereitstellung von Reiseinformationen auf 82 %.

Seit der Pandemie wurde die Seat Finder-App nicht mehr verwendet, da die Modelle für Messungen und Prognosen bei so wenigen Reisenden keine präzisen Aussagen mehr lieferten. Doch sobald die Menschen wieder frei reisen können, wird es ein Comeback geben.

Kundenservice über die Cloud

Die Bahnunternehmen betreiben einen umfangreichen Multi-Channel-Kundenservice zur Unterstützung der Fahrgäste in verschiedenen Bereichen, vom Online-Kauf der Fahrkarten bis hin zur telefonischen Erkundigung nach Reiseoptionen. Für die Bahnbetreiber ist es wichtig, dies so effizient wie möglich zu gestalten, sowohl in Bezug auf die Kosten als auch in Hinblick auf den Kundenservice. Ein besonders innovatives Beispiel einer gelungenen Lösung ist der KI-betriebene, cloudbasierte intelligente Bot des österreichischen Bahnbetreibers ÖBB.

Der Bot der ÖBB, eine Power Virtual Agents-Lösung, bietet personalisierte Reiseinformationen, von Werbeaktionen bis hin zu Rabatten. So können die Fahrgäste die besten Optionen für ihre Bedürfnisse finden. Der Bot unterstützt Deutsch als Sprache, die Mitarbeiter*innen der ÖBB können die Inhalte also problemlos in ihrer Muttersprache aktualisieren und nach Bedarf neue Themen hinzufügen, ohne dass ein Sprachmodell trainiert werden muss. Auf diese Weise können sie flexibel auf die Bedürfnisse der Kund*innen eingehen.

Wenn der Bot keine Lösung für einen Fahrgast finden kann, können die Nutzer*innen dank der Omnichannel-Integration über dieselbe Chat-Schnittstelle mit Mitarbeiter*innen der ÖBB sprechen. Die ÖBB geht davon aus, dass das jährliche Anrufvolumen durch den Einsatz des virtuellen Bots um 30-35 % zurückgehen wird.

Die ÖBB geht davon aus, dass das jährliche Anrufvolumen durch den Einsatz des virtuellen Bots um 30-35 % zurückgehen wird. (Bild: ÖBB)

Mit einer Vielzahl von Lösungen hilft die Cloud den Bahnbetreibern in ganz Europa letztendlich, ihre Kund*innen besser zu verstehen und ihren Service individuell anzupassen.

„Es geht wirklich nicht nur darum, unsere Pünktlichkeit zu verbessern, um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, sondern auch darum, unsere Kund*innen wirklich kennenzulernen. In dieser Zeit dreht sich alles um Personalisierung und darum, wie wir am besten personalisierte Dienstleistungen anbieten können.“, so Guido Lemeire CIO, SNCB

*Titelbild: Um den Erwartungen der Fahrgäste des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden, setzen die Bahnunternehmen zunehmend auf die Cloud.*