Developer Stories: Andreas Bode, der KI-Philosoph

Microsoft-Entwickler Andreas Bode stellt mit seinem Team sicher, dass die Leute finden, wonach sie wirklich suchen. Das Team erforscht die Relevanz der Ergebnisse, die bei Suchanfragen in Office-Anwendungen von Microsoft angezeigt werden. Künstliche Intelligenz (KI) ist dabei von entscheidender Bedeutung. Der nächste Entwicklungsschritt soll eine KI sein, die nicht nur die besten Suchergebnisse liefert, sondern auch noch erklären kann, wie sie darauf kam.

Bei einem Microsoft-Hackathon war es eine Lampe, die ausging und anging wie von Geisterhand. Und beim nächsten setzte sich plötzlich ein Spielzeugauto in Bewegung. Beim dritten drehten sich dann Bilder auf dem Monitor, ohne dass jemand eine Hand rührte. „Wir hatten 32 verschiedene Elektroden an einen Mitarbeiter angeschlossen und geschaut, ob wir über seine Gedanken etwas steuern können“, berichtet Andreas Bode. Die Hackathon-Experimente seines Teams werden jedes Jahr ambitionierter: vom Einschalten der Lampe über das losfahrende Auto bis zum Rotieren von Bildern per Gedankenkontrolle.

„Imagine – Create – Adapt“ steht auf dem roten Shirt des Principal Software Engineering Managers. Das ist der Titel des letzten Hackathons, und es könnte auch das Lebensmotto von Andreas sein. Bei diesen jährlichen Events geht es darum, die menschliche Intelligenz mit einem User-Interface zu verknüpfen. Fast sein ganzes Berufsleben beschäftigt sich Andreas schon mit solchen Themen. Genauer gesagt: mit Intelligenz. Mit menschlicher Intelligenz, mit künstlicher Intelligenz und mit der Frage, wie diese beiden Formen der Intelligenz besser zusammen funktionieren.

Drei Jahrzehnte Suchmaschinen: Vom FTP-Archie zur smarten Dokumenten-Suche

Als die erste Internet-Suchmaschine Archie vor über 30 Jahren ans Netz ging, konnte sie nur nach Datei- und Verzeichnisnamen suchen, um damit Dokumente auf FTP-Servern ausfindig zu machen. Seitdem hat sich viel verändert. Besonders die Einführung des World Wide Web (WWW) führte dazu, dass die Informationsmenge heute schier unendlich ist und Suchmaschinen täglich mehrere Milliarden Anfragen beantworten. Und auch außerhalb des WWW gibt es eine Menge Suchmaschinen: fürs Intranet, für E-Mails, für Microsoft Teams und noch für viele weitere Anwendungen. Doch was suchen die Leute wirklich, wenn sie ein paar Wörter oder ganze Sätze eingeben? Welche Wörter sind tatsächlich relevant? Und was bedeutet das überhaupt: Relevanz? Die Antworten auf solche Fragen zu finden, ist die Aufgabe von Andreas und seinem Team im Münchener Research Lab von Microsoft. Sie suchen nach der Relevanz – und einer Intelligenz aus der Maschine, die Suchanfragen wirklich versteht.

Andreas Bode: Eine deutsch-amerikanische Geschichte

Sein amerikanischer Akzent erzählt viel über Andreas‘ Lebensgeschichte. Er hatte schon Teile seiner Kindheit in den USA verbracht. Nach einigen Jahren in Deutschland und einem Informatik-Studium an der TU München, geht es zurück in die Staaten: zum Studium in Michigan. „Danach habe ich fast 20 Jahre im Silicon Valley verbracht“, sagt Andreas.

 

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2004 ging er zu Microsoft nach Redmond, wo er unter anderem an maschineller Sprachenübersetzung arbeitete. Eines der Ergebnisse ist der heutige Microsoft Translator. Vor zwölf Jahren kam er zurück nach Deutschland, doch sein Berufsalltag spielt sich bis heute fast nur auf Englisch ab. „Das deutsche Wort ‚künstliche Intelligenz‘ benutze ich so gut wie nie“, bemerkt er beim Interview. Zwar spricht er mit seiner Frau deutsch, doch sie reden gewöhnlich über andere Themen.

Grundlage Mathematik: Pokerspieler als Suchmaschinen-Spezialisten

München, Cambridge, Montpellier, Prag, Melbourne: Das 30-köpfige Team von Andreas ist über die Welt verteilt. Seine Gemeinsamkeit ist, dass alle Mitglieder viel mathematisches Know-how und Kenntnisse in der Informationstechnik mitbringen. Doch die Leidenschaften und Lebenswege könnten kaum unterschiedlicher sein. „Ich habe neulich jemand eingestellt, der mehrere Jahre professioneller Poker-Spieler war“, nennt Andreas als Beispiel. Und als er die fragenden Augen seiner Zuhörer sieht, nennt er den Grund: „Mathematik.“ Sie bildet auch bei dem Glücksspiel die Basis für den Erfolg – genauso wie bei der Entwicklung von Suchmaschinen.

Im Microsoft Research Lab in München-Lehel erforschen Andreas und Team die Relevanz in Suchmaschinenergebnissen mittels künstlicher Intelligenz.

Oft entscheiden nur Nuancen darüber, ob ein Suchergebnis relevant ist, erklärt Andreas. Diese Nuancen zu erkennen, ist die Aufgabe seines Teams. Oder vielmehr: die künstliche Intelligenz, welche die Antworten finden muss, durch diese Arbeit immer klüger zu machen. „Wir haben unsere Gruppe von Null an aufgebaut“, erinnert sich Andreas an die Anfänge vor zwölf Jahren. Microsoft brachte damals seine Suchmaschine Bing nach Europa und richtete das Search Technology Center Europe an drei Standorten ein: in London, Paris und München. In der bayerischen Landeshauptstadt arbeiten heute vier Teams, die anderen befassen sich mit Spracherkennung, Internet der Dinge und Mixed Reality. „Ihre Arbeit ist ziemlich geheim“, sagt Andreas und muss selbst ein wenig schmunzeln.

Algorithmen-Baukasten: Ausprobieren – auswerten – anpassen

Wie erkennt man nun die Relevanz bei einer Suchanfrage? Andreas erklärt es mit einer Dokumenten-Suche im Microsoft Sharepoint: „Wenn man keins der angezeigten Dokumente anklickt, dann war das Suchergebnis wohl fehlerhaft“, sagt er. „Doch wenn ich gleich das erste Dokument öffne und dann 20 Minuten lese, dann war das Ergebnis wohl sehr relevant.“ Es gibt eine Vielzahl von Datenpunkten, die Andreas und sein Team zur Beurteilung der Relevanz in den verschiedenen Microsoft-Produkten heranziehen. Welche Termine in Outlook oder welche E-Mails könnten relevant sein? Welche Beziehungen zu anderen bestimmen die Bedeutung bestimmter Dokumente? Welche Suchergebnisse werden schließlich geöffnet?

Es gibt verschiedene Baukästen mit Algorithmen, aus denen das Team seine Lösungen zusammensetzen kann, erklärt Andreas. Viele dieser Baukästen für Algorithmen und künstliche Intelligenz hat Microsoft selbst entwickelt, doch eine Menge kommt auch von anderen Tech-Unternehmen. Meistens stehen sie als Open Source bereit und lassen sich für bestimmte Anwendungsfälle nutzen. Das Ergebnis ist dann ein spezielles Modell, das sich im realen Umfeld ausprobieren lässt. Was funktioniert, wird übernommen und in Microsoft-Produkte integriert. Und was nicht funktioniert, wird entweder weiter optimiert oder schlussendlich verworfen.

Responsible AI: Verantwortungsvolle und erklärbare künstliche Intelligenz

Die Arbeit mit der KI bringt auch viel Verantwortung mit sich. Deshalb hat Microsoft sechs Prinzipien für „Responsible AI“: den verantwortungsvollen Einsatz von künstlicher Intelligenz. KI soll fair sein sowie inklusiv, zuverlässig und sicher. Die Menschen sollten rechenschaftspflichtig sein für die KI-Systeme, die sie entwickeln. Der Datenschutz soll respektiert werden und der KI-Einsatz soll transparent sein, damit die eingesetzten Systeme verständlich sind. Für Andreas ist dieser letzte Punkt besonders wichtig: Er plädiert für eine „Explainable AI“, die keine „Blackbox“ ist. Denn bisher ist oft unklar, wie künstliche Intelligenzen auf ihre Ergebnisse kommen. „Nicht nur für Suchmaschinen, sondern für künstliche Intelligenz generell ist es wichtig, dass diese Systeme sich besser erklären können“, sagt er.

Es wäre sehr hilfreich, wenn die Suchmaschine beispielsweise erklären könnte, warum sie bestimmte Ergebnisse an die erste oder zweite Stelle setzt. Es gehe dabei weniger um die Frage, ob er und sein Team die Arbeit der Algorithmen verstehen. Sie müsse vor allem für die Menschen vor den Bildschirmen nachvollziehbar sein. „Explainable AI ist ein spannendes Thema und man wird wohl von uns verlangen, dass wir solche KI produzieren.“ Andreas formuliert einen scheinbar paradoxen Satz: „Die besten KI sind zwar sehr gut, aber sie können sich nicht erklären.“ Man müsste sie über ihre digitalen Denkweisen befragen können.

Nicht immer eindeutig: Im Dialog mit der Maschine

Ohnehin sieht Andreas genau darin die Zukunft: im Austausch und im gegenseitigen Verständnis. „Ich finde es interessant, darüber nachzudenken, wie ein echter Dialog zwischen Mensch und Maschine entstehen kann“, philosophiert er. Am besten sollte die Maschine den Dialog beginnen, um gemeinsam die passende Antwort zu finden. „Wonach suchst Du?“, sollte sie fragen. „Welches Dokument benötigst Du? Von welchem Peter suchst Du die Präsentation?“ Solche Fragen würden auch Menschen stellen. Doch sie sollen von einer KI kommen, die sich selbst erklären kann und nur relevante Ergebnisse liefert.

„Das Großartige ist ja genau, dass es nicht eindeutig ist“, sagt Andreas auf die Frage, was ihn an Intelligenz reizt. „Man muss Fragen wirklich verstehen können, um relevante Antworten zu liefern“, erklärt er, „und für fast jede Frage gibt es verschiedenste Antworten.“ Menschen würden ständig dazulernen und dadurch intelligenter werden. Bei der künstlichen Intelligenz sei es ähnlich. „Wir sind dabei noch ganz am Anfang und können noch besser werden“, fasst er viele Jahre voller Arbeit zusammen. Der Dialog sei ein wichtiger Bestandteil des Lernprozesses. „Es wäre schön, wenn eine künstliche Intelligenz wie ein Mensch die richtigen Fragen stellen würde“, denn schließlich lernen auch wir durch Fragen und Beispiele. Andreas ist sich sicher: „Intelligenz kann immer besser werden.“ Und er meint damit nicht nur die KI.

Ratschlag vom Kühlschrank: Suchmaschinen für alle Lebensbereiche

Für unsere Zukunft bedeutet das zugleich, dass wir KI und Suchmaschinen in immer mehr Alltagsbereichen sehen werden. „Unser Kühlschrank könnte uns erklären, wo wir am günstigsten unsere Milch kaufen können“, entwirft Andreas ein Szenario. „Wir werden mehr und mehr Suchbefehle in unser Leben integrieren.“ Vielen Leuten sei noch gar nicht bewusst, wo das schon heute geschehe. „Unser Autos erklären uns bereits, wo die nächste Tankstelle oder Touristen-Attraktion zu finden ist“. Das seien eigentlich Suchbefehle, die von Maschinen im Hintergrund abgearbeitet werden.

Dafür sei vor allem der Kontext und die Menge der verfügbaren Informationen wichtig. Je mehr von beidem bereitsteht, desto leichter könne die Suche auch proaktiv erfolgen: Dann werden die Ergebnisse schon gefunden, bevor überhaupt jemand nach ihnen fragt. „Das ist die Präsentation, nach der Du gleich suchen möchtest“, imitiert Andreas die Stimme der Maschine. Das Ziel aller Entwicklung steht für ihn dabei fest: eine Konversation von Mensch und Suchmaschine, die der menschlichen Unterhaltung gleichkommt.

Der nächste Hackathon wartet bereits. Gut möglich, dass Andreas und sein Team dann erneut mit Elektroden experimentieren und den Dialog ausbauen: zwischen dem menschlichem Gehirn und der Maschine.

In unserer Artikelreihe „Developer Stories“ stellen wir regelmäßig spannende Microsoft-Entwickler*innen und ihre Projekte vor. Die fünfte Folge mit Sydne-Aline Straßer, Data & AI Sales Specialist, gibt es hier zu lesen.

 


Ein Beitrag von Markus Göbel
Senior Communications Manager Data Applications and Infrastructure

Markus Göbel

 

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