Nachgefragt bei Zaid Zaim, Mixed Reality Catalyst bei Hololux

Zaid Zaim ist „Mixed Reality Catalyst“ bei der Hololux GmbH, einer Agentur für Virtual Reality, Mixed Reality und Augmented Reality in Saarbrücken. Hololux entwickelt disruptive Lösungen unter anderem für Microsoft HoloLens 2 und das Metaverse. Dazu ist Zaid einer von weltweit wenigen Microsoft MVPs und Sprecher auf TEDx-Konferenzen. Und: Zaid Zaim ist gerade einmal 21 Jahre alt. Der junge Syrer flüchtete 2013 mit seinen Eltern nach Deutschland, fand später seinen Weg an die ReDI School of Digital Integration in Berlin. Dort kam er mit den Entwicklungsmöglichkeiten von MR und HoloLens in Kontakt. Wir haben uns mit Zaid über seine Karriere und unsere Zukunft in einer erweiterten, in unseren Alltag eingebetteten Realität unterhalten.

(Quelle: Adam Berry)

Zaid, was genau macht ein „Mixed Reality Catalyst“?

Zaid Zaim: Als „Mixed Reality Catalyst“ ist es meine Aufgabe, technische Entwicklungen zu beschleunigen. Als Evangelist bei Hololux befasse ich mich mit dem gesamten Spektrum, von MR/VR/AR bis zum Metaverse. Hier versuche ich, Menschen zu begeistern und Dinge voranzubringen. Praktisch ist meine Tätigkeit irgendwo zwischen Projektmanagement, Entwicklung, Marketing und Community-Engagement angesiedelt. (Für die Definition von MR/VR/AR und die Abgrenzung der Begriffe empfehle ich euch den Beitrag Microsoft erklärt: Was ist Mixed Reality?)

Musst du denn in deinem Unternehmen, das eine Agentur für VR/MR und AR ist, überhaupt predigen?

Zaid Zaim: Ja, zum Beispiel bei dem aktuellen Thema „Metaverse“. Da bin ich bei Hololux dafür verantwortlich, interessierte Kunden und Mitarbeiter*innen für das Thema zu gewinnen und das Metaverse mit unseren Lösungen zu verbinden.
Wir beschäftigen uns seit Ende letzten Jahres sehr stark mit dem Metaverse – nach der Umbenennung von Facebook in Meta und dem großen Announcement von Microsoft, sich mit Mesh for Teams und über die Plattform AltspaceVR ebenfalls im Metaverse engagieren zu wollen. Im Dezember haben wir damit angefangen, eine große deutsche Bank ins Metaverse zu bringen, um das hybride Arbeiten und das Socialising der Mitarbeitenden mit Mixed Reality zu unterstützen. Dafür haben wir die weltweit verteilt arbeitenden Mitarbeiter*innen via Altspace VR zusammengebracht, so dass sie miteinander kommunizieren, aber auch zusammen feiern und spielen können.

Du musstest aus dem Krieg in Syrien fliehen. Magst du uns ein wenig von deiner persönlichen Geschichte erzählen?

Zaid Zaim: Ich komme aus Damaskus, der Hauptstadt von Syrien. Seit 2011 herrscht dort Bürgerkrieg. 2013 musste meine Familie fliehen und ein neues Leben in Berlin aufbauen. Dort ging ich auf eine Oberschule und habe 2020 mein Abitur gemacht.
Ich hatte schon immer ein großes Interesse an Technologien und hab während meiner Schulzeit die ReDI School kennengelernt. So konnte ich neben der Schule erste Erfahrungen mit Mixed Reality machen. Die ReDI School bietet keine regulären Ausbildungen an, sondern unterstützt Geflüchtete dabei, IT-Kenntnisse zu erwerben. Dort wurden wir von sehr guten Mentor*innen unterstützt, die das ehrenamtlich machen und selbst aus Tech-Unternehmen kommen.

Bist du von der ReDI School direkt zu Hololux gekommen?

Zaid Zaim: Das ist eine längere Geschichte. Zu den Unterstützern der ReDI School gehört auch Microsoft. Ich habe in Berlin meinen Mentoren kennengelernt, der hauptberuflich bei Microsoft arbeitet. Er hat mich zu Hackathons eingeladen, zum Beispiel 2018 zum IoT-Hackathon von Microsoft. Die sind super, weil man da neue Leute kennenlernen und gleichzeitig wertvolle neue Kenntnisse aufbauen kann. Und er hat mir übers Wochenende Microsoft HoloLens mitgegeben, die konnte ich ausprobieren und das war für mich ein echter „Wow-Moment“. Ich war sehr beeindruckt, was die Technologie kann.
Den Geschäftsführer von Hololux habe ich später auf einem anderen Hackathon kennengelernt und er hat mir angeboten, dort als Werkstudent zu arbeiten. So fing meine Zeit bei Hololux an.

Auf dem ITS Hackathon in Hamburg entwickelten Studierende und Mentor*innen der ReDI School einen Prototyp, der Menschen mit Sehbehinderung die Navigation in Bahnstationen durch HoloLens 2 vereinfacht.

Zwischen deiner Zeit bei der ReDI School und deinem Einstieg bei Hololux hast du eine eigene MR-Anwendung über die antike Oasenstadt Palmyra gemacht, die 2016 vom sogenannten IS zu großen Teilen zerstört wurde. Wie kam es dazu?

Zaid Zaim: Ich habe als Kind mit meiner Familie Palmyra besucht und das hat mich damals sehr geprägt. Als der IS die Stadt zerstört hat, habe ich mir überlegt, wie ich moderne Technologien mit meinen persönlichen Erfahrungen verknüpfen kann, um Palmyra wenigstens virtuell zu erhalten. Und ich hatte die Idee, die Bauwerke der Stadt mit HoloLens von Microsoft wiederauferstehen zu lassen – so, wie sie vor der Zerstörung ausgesehen haben. Mit der Anwendung will ich das Bewusstsein bei den Besucher*innen für Geschichte wecken, damit wir mit unseren kulturellen Schätzen pfleglicher umgehen. Vielleicht kann ich auch dazu beitragen, dass Palmyra irgendwann wieder aufgebaut werden kann…

2016 wurde die Oasenstadt Palmyra zu großen Teilen zerstört. Mit Hilfe seines HoloLens-Projekts baut Zaid die antike Stadt mit Hologrammen wieder für Anwender*innen auf (Konzeptbild, Quelle: Daniel Porfírio und Daniele De Filippis).

Zaid Zaim hat zu seinem Palmyra-Projekt zahlreiche Vorträge gehalten und Interviews gegeben. Eine Auswahl:

TEDxMünchen: Mixed Reality zur Rettung des kulturellen Erbe Palmyras

CodeStories Berlin: Mixed Reality for Cultural Heritage (engl.)

GitHub-Projektordner: Mixed Reality for Cultural Heritage: Palmyra


Wie wichtig war Microsoft HoloLens für dich bei diesem tollen Projekt?

Zaid Zaim: Ich kannte HoloLens aus der ReDI School und war von der Technologie schon begeistert. Mit HoloLens 2 kann ich mir die Gebäude aus Palmyra einfach jederzeit und an jedem Ort anschauen. Außerdem bietet das Gerät tolle Interaktionsmöglichkeiten an, etwa über das Handtracking. HoloLens wäre auch nützlich, wenn wir eines Tages Palmyra wieder besuchen können. Dann könnte der MR-Computer dort, wo jetzt nur noch Ruinen stehen, die Baudenkmäler so anzeigen, wie sie einmal ausgesehen haben.

Du hast das Projekt mit Unity 3D entwickelt, aber auch unser Mixed Reality Toolkit MRTK dafür eingesetzt. Wie waren deine Erfahrungen damit?

Zaid Zaim: Gerade das MRTK ermöglicht Entwickler*innen, Designer*innen und Tech-Interessierten einen einfachen Einstieg in die Entwicklung von MR- und HoloLens-Anwendungen. Über das MRTK hatten wir Zugriff auf Beispielszenarien, Komponenten und Skripte, die die Entwicklung von HoloLens-Anwendungen deutlich einfacher und schneller gemacht haben. Das Toolkit bietet dafür eine flexible Umgebung, weil die Komponenten auf unterschiedlichen Geräten funktionieren. Umgekehrt konnten wir über einen Emulator in den Tools unsere Anwendung direkt in Unity 3D testen, ohne dafür unterschiedliche Endgeräte einsetzen zu müssen.

Wie setzt ihr Microsoft HoloLens 2 bei Hololux ein?

Zaid Zaim: Wir machen mit HoloLens viele Anwendungen im Bereich Fernwartung, etwa mit Kunden aus der Telekommunikationsbranche. Über das Device können die Techniker*innen vor Ort direkt Anleitungen aus der Zentrale bekommen, wie sie bestimmte Reparaturen oder Wartungsarbeiten ausführen. Wir arbeiten auch mit Azure Communication Services, die uns zum Beispiel ermöglichen, HoloLens-Nutzer*innen in Teams-Calls zu integrieren. Dafür haben wir im Rahmen unseres ACS Hololux Projekts ein eigenes Unity-Plugin entwickelt und Open-Source gestellt. Und wir forschen gemeinsam mit Wissenschaftler*innen etwa daran, die Visualisierung von Strömungsanalysen bei Autos mit MR zu verbessern.

Die Aerodynamik von Fahrzeugen lässt sich beim Projekt HoloSim dank eines virtuellen Strömungskanals prüfen. Das Projekt ist gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Zusammenarbeit mit den Partnern M.TEC, Create 3D, AWSI und Hololux (Quelle: Hololux).

Noch spielt Mixed Reality keine große Rolle im Consumer-Bereich. Wird sich das deiner Meinung nach ändern? Wie siehst du die Zukunft von MR?

Zaid Zaim: Das stimmt, HoloLens etwa ist vor allem ein Enterprise-Gerät. Aber mit HoloLens und weiteren Iterationen werden wir das Metaverse gestalten, deshalb wird ihre Bedeutung in Zukunft stark wachsen. Wir haben vor kurzem ein Projekt mit einer chinesischen Versicherung gestartet, die ihre Mitarbeiterversammlungen und Afterwork-Partys ins Metaverse überführen wollte – mit virtuellen Cocktails, Bars und Feuerwerken. Wir konnten mit Microsoft AltspaceVR konkret demonstrieren, was in Zukunft alles möglich sein wird, und die Menschen waren begeistert!


Zaids Arbeitgeber Hololux hat bereits erste Erfahrungen mit Metaverse-Projekten gesammelt. Darunter:

Das Metaverse der Deutschen Bank

Die Metaverse-Präsenz der chinesischen Versicherung AIA

Hololux: New Year’s Eve Party in the Metaverse

Austrian Developer Community Day 2022 Afterparty


Wie wird es für dich persönlich weitergehen, planst du neue Mixed-Reality-Projekte?

Zaid Zaim: Eine Rückkehr nach Syrien kommt für mich derzeit aufgrund des Krieges nicht in Betracht. Aber ich habe mir in Deutschland ein neues Leben aufgebaut, Berlin ist meine Heimat geworden. Und klar: Mit dem Projekt zum kulturellen Erbe in Palmyra kann man natürlich wunderbar demonstrieren, was MR für den Erhalt von Weltkulturerbe tun kann. Das kann nicht nur für Palmyra eingesetzt werden, sondern auch für andere bedrohte Kulturdenkmäler.

Ich überlege gerade, den Sourcecode des Projekts der Community zur Verfügung zu stellen, damit auch andere daran mitwirken und andere Orte dort implementieren können. Es wäre auch denkbar, das einmal in eine Art virtuelles Museum zu bringen, in dem die Menschen ihr kulturelles Erbe direkt erleben können. Dabei unterstützt uns Microsoft und hilft uns dabei, HoloLens optimal in das Projekt einzubinden. Mir selbst hat das Projekt den Einstieg in die Entwicklung von MR-Lösungen und bei Hololux geebnet. Ich habe großes Interesse, daran weiterzuarbeiten und neue Anwendungsfelder zu entdecken.

Du bist erst 21 Jahre alt und hast schon sehr viel Erfahrung mit MR und der Entwicklung virtueller Welten gemacht. Und du bist einer von weltweit gerade einmal 3.200 MVPs, also „Most Valuable Professionals“, einem Ehrentitel, mit dem Microsoft engagierte Expert*innen auszeichnet. Was bedeutet dieser Titel für dich

Zaid Zaim: MVP ist eine große Anerkennung von Microsoft für Leute, die sich in der Entwicklung moderner Technologien engagieren und für ihren Einsatz werben. Ich durfte das, auch mit Unterstützung von Microsoft-Mentor*innen, schon an der ReDI School in Berlin tun und kehre jetzt hin und wieder an die Schule zurück oder gehe auf Konferenzen wie die TEDx. Dort spreche ich über meinen Werdegang, um andere Menschen zu motivieren, die auch aus ihrer Heimat flüchten mussten. Für mich ist es sehr schön, für das ausgezeichnet zu werden, was ich liebe, und der Community über meine Arbeit etwas davon zurückgeben zu können – als MVP und als Multiplikator für Mixed Reality & HoloLens!

Zaid zusammen mit Teilnehmer*innen einer Session zu den Möglichkeiten der Microsoft HoloLens im Rahmen der Microsoft Build.

Vielen Dank für das Gespräch, Zaid!

Weitere Interviews aus unserer „Nachgefragt“-Reihe sowie weitere Anwendungsbeispiele und Informationen zum Einsatz von Mixed Reality-Technologie und Microsoft HoloLens 2 in der Arbeitswelt sind in unserer Pressemappe zu finden.

Weiterführende Links zu MRTK:

Beitragsbild: Konzept für den Einsatz der HoloLens-2-Technologie vor Ort in Palmyra, virtuelle Rekonstruktion des Triumphbogens (Konzeptbild, Quelle: Sarmad Baydoun)


Ein Beitrag von Bosse Kubach
Trainee Business Communications Digital Qualification & Innovation / Data Applications & Infrastructure

 

 

 

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