Mit zunehmender Digitalisierung werden in Handels- und Konsumgüterunternehmen verstärkt neue Möglichkeiten für eine gesteigerte Lieferkettentransparenz geschaffen. Gleichzeitig besitzt jedoch auch das Thema Nachhaltigkeit eine immer größere Relevanz. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein breites, eng miteinander verknüpftes Handlungsfeld. Die Einflussfaktoren sind zahlreich: Externe Faktoren können etwa blockierte Lieferwege und mangelnder Rohstoffnachschub sein, interne Faktoren u. a. Nachhaltigkeitskriterien und -berichterstattung. Zusätzlich gewinnen die Kriterien der Lieferkettengesetze in Deutschland und Europa rasant an Bedeutung.
Wie Handel und Hersteller diese Herausforderungen für mehr Lieferkettentransparenz und Nachhaltigkeit am effizientesten angehen, stand am 25. November 2021 im Mittelpunkt des Microsoft Envision Forums. Top-Expert*innen von Deutschlands größter Handels-Hochschule DHBW Baden-Württemberg Heilbronn, dem Handelsverband Deutschland (HDE), dem EHI Retail Institute und Microsoft präsentierten im Rahmen des virtuellen Live-Events die neuesten Studien zum Thema und diskutierten konkrete Handlungsempfehlungen für Unternehmen. Darunter u. a. Prof. Dr. Philipp Hübl (Philosoph und Buchautor), Prof. Dr. Carsten Kortum (DHBW), Prof. Dr. Stephan Rüschen (DHBW), Prof. Dr. Carolyn Hutter (DHBW), Prof. Dr. Oliver Janz (DHBW), Benjamin Chini (EHI) und Jelena Nikolic (Handelsverband).
Inhaltlich lässt sich das Envision Forum in fünf zentralen Erkenntnissen zusammenfassen:
1. Das Prinzip Nachhaltigkeit fällt den Menschen schwer
Obwohl die Menschen um die Gefahren des Klimawandels wissen, handeln viele von ihnen noch immer nicht danach. Warum das so ist, erklärte der Philosoph Prof. Dr. Philipp Hübl in seiner Keynote über das „Prinzip Nachhaltigkeit“. Im Kern gibt es demnach vier zentrale Gründe, warum es Menschen so schwerfällt, langfristig nachhaltig zu handeln. Da sind zum einen die Unwissenheit und Willensschwäche des Menschen, die uns daran hindern. Der kurzfristige Spaß ist uns in der Regel wichtiger als der langfristige Nutzen. So sitzen wir z.B. auch zu viel vor dem Fernseher oder machen zu wenig Sport, obwohl uns bewusst ist, dass uns das nicht guttut. Beim Thema Nachhaltigkeit ist das nicht anders. Ein weiterer Grund ist die gelebte Selbsttäuschung und Selbstüberschätzung, die fest in der Psychologie des Menschen verankert ist. Unterbewusst glauben wir auch beim Thema Klimaschutz daran, dass schon alles gut gehen werde. Auch wenn wir selbst nichts dazu beitragen. Prinzipiell neigen wir zudem dazu, stets das zu tun, was wir schon immer getan haben. Das in der Wissenschaft als „Status Quo Bias“ bekannte Phänomen beschreibt sehr eindrücklich, wie sehr der Mensch an bekannten Verhaltensmustern hängt und eher ungern das Risiko des Neuen eingeht. Und schließlich ist da noch die fehlende Abstraktionsfähigkeit, um die direkten Konsequenzen nicht nachhaltigen Handelns zu erkennen. Ursachen und Wirkung auf weltweiter Ebene sind für den Menschen generell nur schwer fassbar.
2. Nachhaltigkeit steht als Kaufentscheidungskriterium vor dem Durchbruch
Wie groß der Unterschied zwischen dem Bewusstsein und dem tatsächlichen Verhalten der Konsument*innen wirklich ist, haben Prof. Dr. Carsten Kortum und Prof. Dr. Stephan Rüschen (beide DHBW Heilbronn) in einer aktuellen Studie zum so genannten „Attitude-Behavior-Gap“ untersucht. Die Ergebnisse dieser Studie machen Mut: Die Schere zwischen Bewusstsein und Verhalten wird demnach bei den Deutschen immer kleiner. Immer mehr Konsument*innen beziehen das Thema Nachhaltigkeit als Kriterium in ihre Kaufentscheidung ein. Für 43 Prozent hat Nachhaltigkeit der DHBW-Studie zufolge bereits einen direkten Einfluss auf das Ernährungs- und Kaufverhalten. So ist der Attitude-Behavior-Gap etwa beim Fleisch- und Fischkonsum nahezu aufgehoben. 40 Prozent wählen auch das Geschäft für ihren Einkauf grundsätzlich nach nachhaltigen Aspekten aus. Dabei ist der Gap bei Bio-Märkten naturgemäß am kleinsten, bei Discountern des LEHs am größten. Auffällig dabei: Mit Blick auf den Attitude-Behavior-Gap der Deutschen gibt es kaum Unterschiede, was das Alter, Einkommen oder Geschlecht angeht. Einzig bei den Großverdienern mit einem Einkommen von über 5.000 Euro, die sich den Kauf von nachhaltigen Produkten eigentlich leisten könnten, geht die Schere weiterhin überdurchschnittlich weit auseinander. Ebenfalls eine wichtige Erkenntnis dieser Studie: Der CO2-Fußabdruck spielt beim Kauf von Lebensmitteln aktuell eine eher untergeordnete Rolle.
3. Transparenz steht im Mittelpunkt allen nachhaltigen Handelns
Um die Konsument*innen und Mitarbeiter*innen der Handels- und Konsumgüterindustrie zu einem nachhaltigen Handeln zu motivieren, braucht es glaubhafte, faktenbasierte Nachhaltigkeitsprojekte, die entsprechend kommuniziert werden. Transparenz ist das Gebot der Stunde. Dies hat Prof. Dr. Carolyn Hutter (DHBW Heilbronn) mit der Preview auf die ersten Ergebnisse einer Studie der DHBW und Bösch, Boden, Spies – Hersteller hochwertiger, natürlicher Rohstoffe und maßgeschneiderter Food Solutions – am Beispiel der Food-Branche klar vor Augen geführt. In der Praxis sieht es jedoch anders aus: Weniger als jedes zweite Food-Unternehmen (49 Prozent) verfügt demnach über eine Nachhaltigkeitsstrategie, die für Konsument*innen und Mitarbeitende sichtbar wird. Darüber hinaus gibt es nur bei 41 Prozent von ihnen eine*n Verantwortliche*n für das Thema Nachhaltigkeit und bei 39 Prozent einen Lieferantenkodex. Innerhalb der Food-Branche engagiert sich der LEH am stärksten für eine transparente Nachhaltigkeitskommunikation – gefolgt von den Bereichen Tee & Kaffee sowie alkoholische Getränke. Als zentrale Herausforderungen auf dem Weg zu mehr Transpanzent macht die Studie dabei vor allem interne Faktoren wie das Mindset der Mitarbeiter*innen, das fehlende Know-how und die unvollständige Datengrundlage aus. Extern fehlt es ihnen zudem am Verständnis der Kund*innen, den Daten in der Lieferkette sowie an adäquaten Rohstoffen, um ein transparentes Nachhaltigkeitsmanagement zu realisieren.
4. Nachhaltigkeit entsteht in der Lieferkette
Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt für die gesamte Lieferkette rasant an Bedeutung. Grund dafür ist die wachsende Erkenntnis, dass die mit der Wertschöpfung verbundenen ökologischen und sozialen Herausforderungen nicht von einem Unternehmen allein, sondern nur durch die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit allen Produzenten und Lieferanten gelöst werden können. Diese Entwicklung stellt die Handels- und Konsumgüterunternehmen und deren Einkaufsabteilungen vor die Aufgabe, gemeinsam mit ihren Lieferanten auf die Einhaltung von ökologischen und sozialen Standards in der Lieferkette hinzuwirken. Wie groß die Nachhaltigkeitspotenziale sind, die in der Lieferkette stecken, verdeutlichte Prof. Dr. Oliver Janz (DHBW Heilbronn) am Beispiel der Supply Chain in der Modeindustrie. Von der Fasergewinnung (z. B. hoher Wasserverbrauch, Einsatz von Pestiziden und Insektiziden) über die Textilproduktion (Einsatz von Chemikalien führt zu Problem bei hohen Abwassermengen) bis zur Konfektion (soziale Herausforderungen durch arbeitsintensive Konfektionierung): Die Nachhaltigkeitsprobleme sind in dieser Branche extrem vielfältig und verlangen in der Lieferkette gezielte und höchst individuelle Lösungsansätze. Neben der Produktion zeigen sich die negativen Umweltwirkungen im Fashion-Bereich vor allem beim Gebrauch von Kleidung (z.B. durch Waschen, Trocknen, Bügeln). Der Bereich Transport und Logistik besitzt hingegen – anders als vielleicht von vielen erwartet – einen relativ geringen Anteil am ökologischen Footprint der Modebranche.
5. Nachhaltig ist das neue Profitabel
Neben der moralischen Motivation gibt es beim Thema Nachhaltigkeit natürlich auch eine ökonomische. Durch gezielte Optimierungen können Handels- und Konsumgüterunternehmen nicht nur ihren ökologischen Footprint verbessern, sondern auch erhebliche Einsparungen erzielen. Wertvolle Unterstützung bieten dabei digitale Lösungen in den fünf großen Handlungsfeldern Zentrale, Lieferkette & Logistik, Sortimente & Produktion, Filialen sowie Kunden & Kreislaufwirtschaft. Dass gewinnbringende Digitalisierung und Nachhaltigkeitsinitiativen in diesen Bereichen bereits erfolgreich Hand in Hand gehen, beweisen die zahlreichen Kundenreferenzen im aktuellen Whitepaper „Sustainable Smart Stores 2021 – Digitale Nachhaltigkeitslösungen für den Handel“ von EHI und Microsoft. Welche Möglichkeiten speziell das Thema Energiemanagement bietet, um das Klima zu schützen und die Geschäftsbilanz zu verbessern, stellte Benjamin Chini (EHI) in seiner Session auf dem Envision Forum vor. So können Unternehmen durch den Einsatz von digitalen Lösungen in der Gebäude- und Gerätesteuerung wie z. B. bei der Lichtsteuerung und dem energie-effizienten Lichtmanagement oder zur Optimierung der Auslastung der Klima- und Kältetechnik gleichzeitig Energie sparen und den CO2-Ausstoß minimieren. Während im Food-Bereich die Kältetechnik (48 Prozent) den mit Abstand größten Anteil des Energieverbrauchs auf sich vereint, ist dies im Non-Food Handel die Beleuchtung (57 Prozent). Für eine optimale Energieeffizienz ist es in jedem Fall aber sinnvoll, die digitalen Lösungen einer Filiale in der Cloud zu betreiben. Schließlich können Hyperscale Cloud Rechenzentren deutlich mehr Rechenleistung pro Energieeinheit erbringen als traditionelle On-Premise-Rechenzentren. Digitale Lösungen lassen sich so nachhaltiger betreiben. Über welche Möglichkeiten der Handel darüber hinaus verfügt, um Klimabilanz und Geschäftsergebnisse zu verbessern, erklärte schließlich Jelena Nikolic (Handelsverband) anhand der Info-Website www.hde-klimaschutzoffensive.de.
Microsoft engagiert sich aus Überzeugung für Nachhaltigkeit und spielt eine aktive Rolle bei der politischen Diskussion über Fragen des Umweltschutzes auf der ganzen Welt. Gemeinsam mit Kunden und Partnern entwickelt Microsoft Technologielösungen, die zum Schutz unseres Planeten beitragen. Weitere Informationen finden sich hier.
Sie haben die Live-Übertragung des Microsoft Envision Forums verpasst oder wollen einzelne Themen und Erkenntnisse vertiefen? Kein Problem: Alle Sessions unserer Expert*innen stehen ab dem 9. Dezember 2021 als Aufzeichnung zur Verfügung. Schauen Sie gerne rein!
Ein Beitrag von Xenia Giese
Industry Executive Retail & Consumer Goods, Microsoft Deutschland GmbH