Corona als Katalysator: Das sind die aktuellen Trends in der Fertigungsindustrie

Auto wird auf Produktionsband gefertigt

Vor einem Jahr drohte die Corona-Pandemie, die Weltwirtschaft zum Stillstand zu bringen. Doch inzwischen haben die meisten Branchen ihre Lieferketten stabilisiert und Prozesse verbessert. Es hat sich gezeigt, dass COVID-19 an vielen Stellen wie ein Katalysator wirkt. „Wir haben die digitale Transformation von zwei Jahren in zwei Monaten gesehen“, brachte Microsoft-CEO Satya Nadella diese Entwicklung auf den Punkt. Das macht uns neugierig, wie es weitergeht. Deshalb haben wir Partnerunternehmen aus der Fertigungsindustrie und Expert*innen von Microsoft gefragt, welche Trends die nächsten Monate prägen werden.

Bis zum vergangenen Jahr war Disruption vor allem ein Modewort, das Präsentationen von Startups schmückte. Es steht für Innovationen, die erfolgreiche Unternehmen verdrängen und vorhandene Technologien überflüssig machen. Viele Firmen drückten sich lang um solche Gedanken, weil die Auftragsbücher voll waren und die Wirtschaft brummte. Aber plötzlich änderten sich die Prioritäten: In kürzester Zeit mussten Lieferketten neu organisiert und Prozesse auf Remote-Arbeit umgestellt werden. Das erhöhte den Transformationsdruck selbst in Unternehmen, die schon Digitalisierungsprogramme gestartet hatten. Sie mussten ihre Pläne neu bewerten und für intelligentere resiliente Prozesse sorgen.

Und 2021? Wie geht es weiter? Welche Entwicklungen werden die industrielle Fertigung prägen? Das wollten wir aus der Praxis erfahren.

Trend 1: Industrielles Internet der Dinge (IIoT)

„Der wichtigste Trend bleibt nach wie vor das industrielle Internet der Dinge, trotz der COVID-Pandemie und Unsicherheiten auf den Absatzmärkten“, sagt Marco Becker, Senior Consultant beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IDC. Eine aktuelle Studie seines Unternehmens zeige, dass fast die Hälfte der befragten deutschen Industrieunternehmen mit über 100 Mitarbeiter*innen plant, verstärkt in IIoT-Projekte zu investieren oder neue Projekte zu starten. „Das zeigt deutlich, dass im Internet der Dinge sowohl ein Baustein zur Krisenbewältigung als auch langfristiges Potenzial für neue Geschäftsideen gesehen wird“, erklärt Becker.

Ingenieurin bedient eine Maschine

Mit seiner Bewertung steht er nicht allein. Auch Stephan Köhler, Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Medizintechnikherstellers Gebr. Brasseler, sieht Corona als Beschleuniger für die IIoT-Nutzung. IIoT-Geräte und Softwarelösungen gehen immer mehr in Richtung Plug and Play, während die Hardware und vor allem der Speicher in der Cloud keine Engpässe mehr darstellen“, nennt er als weitere Gründe. Unternehmen könnten dadurch auf vernünftige Infrastrukturen aufsetzen, um ihre Prozesse eigenständig zu verbessern. Das sei vor allem für ein Hochlohnland wie Deutschland wichtig. Momentan würden sich „neue Dimensionen eröffnen“, sagt Köhler, weil „die Hürden für autonome oder teilautonome Fertigung sinken“. Allerdings müsse man die Cybersecurity von Anfang an mitdenken.

Die jüngsten Entwicklungen werden auch durch neue Funktechniken vorangetrieben. „Hybride Kommunikationsnetze, die auf der intelligenten Kombination von WiFi 6 und 5G basieren, ermöglichen Industrial Plug and Play und erlauben zuverlässiges Manufacturing in der Cloud“, erklärt Patrick-Benjamin Bök, Gründer und CEO der Technologie-Beratung RABOOBOO. So lassen sich vernetzte Lösungen aufbauen, die nicht nur einzelne Standorte der Fertigungsindustrie umfassen, sondern beliebig große mobile Anwendungen durch den 5G-Mobilfunk erlauben.

Trend 2: Künstliche Intelligenz (KI)

Als weiterer wichtiger Impulsgeber für Fortschritte in der Fertigungsindustrie erweist sich KI. „Wenn ich es auf nur einen Trend reduzieren soll, dann ist es die zunehmende Nutzung von künstlicher Intelligenz in der industriellen Wertschöpfung“, denkt Thorsten Cleve, Director Manufacturing, Chemical, Lifescience, bei Microsoft Deutschland. „Künstliche Intelligenz wird weiter ihren Weg in industrielle Anwendungen finden“, sagt auch Christoph Berlin, Partner Program Manager Azure Industrial IoT/Manufacturing der Microsoft Corporation. Ab jetzt gehe es vor allem darum, die Technologie näher an die Endnutzer*innen zu bringen: zu den Maschinenbediener*innen und Prozessingenieur*innen.

Ingenieurin arbeitet mit HoloLens-Brille an einer Maschine

Für Christoph Berlin ist klar, dass weitere Produktivitätssteigerungen in hochtechnisierten Fertigungsunternehmen nur mit massiver Unterstützung durch künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen möglich sind. „Es wird noch mehr darum gehen, vom Experimentieren zum entschlossenen Handeln überzugehen“, sagt deshalb auch Tobias Gaukstern, Vice President Industrial Analytics der Weidmüller-Gruppe. Bisherige Prototypen müssten schnell zur Serienreife geführt werden, damit „eine weitestgehend automatische Skalierung in der Anwendung möglich wird.“ Datenbasierte Services würden in den kommenden Jahren zum entscheidenden Werttreiber in der Fertigungsindustrie werden. Deutschland müsse seine herausragende Position im Maschinenbau in digitale Stärke transformieren.

 „Während die Automatisierung bisher vor allem Prozesse effizienter gestaltete, können wir mit KI komplett neue Prozesse schaffen und noch bessere Angebote für unsere Kunden entwickeln“, erklärt Melanie Weber einen weiteren Vorteil. So lässt sich nicht nur die Fertigung optimieren, betont die Industry Executive – Chemical, Pharma & Life Science Industry von Microsoft Deutschland. Es entstehen auch neue Produkte und Services, die durch maschinelles Lernen immer besser und nachhaltiger werden. So werden Entwicklungen möglich, die vor wenigen Jahren kaum vorstellbar waren. Zum Beispiel KI-gestützte Lieferketten, die sich selbst neu ausrichten, wenn es zu Ausfällen kommt.

Trend 3: Remote everything

Der dritte Trend wird von der Pandemie verstärkt: „Remote everything“. Wenn die Leute nicht in die Betriebe gehen können, dann müssen die Unternehmen andere Wege finden. „Das vergangene Jahr zeigte, dass eine zweite Welle der digitalen Transformation begonnen hat, die jede Firma und alle Branchen ergreift“, erklärt Thorsten Cleve. „Zuerst stabilisierten sich Unternehmen durch Homeoffice und jetzt geht es darum, alle anderen Bereiche fit für Remote-Arbeit zu machen.“ Auch Monitoring, Wartung, Service und Engineering müssten aus der Ferne funktionieren. Damit die Arbeit weitergeht, ohne dass zwingend jemand in die Firma kommen muss.

„Die Sicherheit der Mitarbeiter*innen steht an erster Stelle“, sagt Kristina Lazarz, Managing Director des Softwareentwicklers MobiLab Solutions. Die aktuelle Krise sieht sie als Chance, um die datengetriebene Zusammenarbeit zu stärken. Alle Mitarbeiter*innen müssten jederzeit und überall Zugriff auf die Daten ihrer Firmen haben. Verlässliche Datenströme seien die zentrale Grundlage für Effizienz, doch ein Großteil der deutschen Unternehmen habe es bisher nicht geschafft, zur „Data Enabled Company“ zu werden.

„Die typischen Probleme wurden durch COVID-19 noch offensichtlicher“, erklärt Egbert Schröer, Principal Program Manager Azure Manufacturing der Microsoft Corporation. „Remote everything“ benötige völlig neue Ideen. Die Vernetzung vorhandener Industrieanlagen und Prozesse bleibe ein wichtiges Hindernis, das „Projekte zum Stillstand oder zum Scheitern bringen kann“. Die bisherigen proprietären Systeme der Fertigungsindustrie „behinderten Innovationen und Agilität“. Fernüberwachung und globale Vernetzung von Fertigungsunternehmen in der Cloud würden eine viel engere Integration von IT und OT erfordern: Informationstechnik und Operational Technology, die zur Steuerung von Industrieanlagen dient, müssten möglichst verschmelzen. Mit einer wirklich offenen Architektur könnten Unternehmen alle Daten aus verschiedensten Standorten, Geschäftsbereichen und Produktionsanlagen in einem „Single Digital Backbone“ zusammenführen und vollkommen neue Erkenntnisse über ihre Fabriken und die gesamte Lieferkette gewinnen.


Ein Beitrag von Markus Göbel
Communications Manager Data Applications and Infrastructure

Markus Göbel

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