Microsoft Earth Lab: Zwei Tage, 50 Experten und 42 innovative Ideen für unseren Planeten
Der Plan klang schon ein wenig verrückt: Wir versammeln 50 Experten so unterschiedlicher Fachrichtungen wie Geowissenschaften, Data Science, Forstökologie, Produktdesign, Biotechnologie, Klimaforschung oder Künstliche Intelligenz an einem Ort. Sie haben zwei Tage, um sich kennen zu lernen, Kompetenzen zu erkennen, über den eigenen Tellerrand zu blicken, Teams zu bilden, sich zu öffnen, kritische Fragen zuzulassen, Gedanken aufzugreifen und wieder zu verwerfen – und letztlich Ideen und Lösungen für den Schutz unserer Erde zu erarbeiten.
Doch das Experiment ist mehr als gelungen. Beim zweitägigen Earth Lab bei Microsoft Berlin sind tatsächlich 42 innovative Ideen und neun konkrete Konzepte entstanden, die unsere Umwelt mithilfe von Künstlicher Intelligenz verbessern könnten. Dazu wurden unzählige neue Kontakte geknüpft – und für alle Beteiligten ist die Welt ein wenig weiter geworden.
Voraussetzung für diesen Erfolg war ein eigens entwickelter Dialog- und Ideation-Prozess des Fraunhofer Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI), der den Teilnehmern einerseits viel Freiraum, andererseits aber auch Leitplanken und Orientierung bot.
Denn die ungeheure Vielfalt der Teilnehmer des Earth Lab war Chance und Herausforderung zugleich. Zwar kamen alle mit demselben Ziel: „Wir wollen etwas für den Schutz unseres Planeten tun“. Aber während manche schon mit eigenen Ideen oder sogar Prototypen beim Earth Lab antraten, wollten sich andere vor allem inspirieren lassen und Neues lernen.
Das Kennenlernen: Unterschiedliche Expertisen finden sich
In der ersten Phase des Earth Lab ging es deshalb zunächst nur darum, die unterschiedlichen Expertisen sichtbar zu machen und eine gemeinsame Sprache zu finden. Dabei half ein simpler, aber wirksamer Trick: Auf den Fragebögen, mit denen sich die Teilnehmer selbst beschreiben sollten, waren sie aufgefordert den eigenen Job einem 5jährigen Kind zu erklären. Das war hilfreich, denn unter Aussagen wie „ich bringe Computern bei, das Wetter in 50 Jahren vorherzusagen“, „ich baue Häuser, die nur wenig Strom verbrauchen“ oder „ich helfe mit, dass Menschen überall auf der Welt sauberes Wasser trinken können“, kann sich jeder sofort etwas vorstellen.
Im nächsten Schritt konnten sich die Teilnehmer beim Speeddating besser kennenlernen. Beim gemeinsamen Stühlerücken und beim Austausch im Minutentakt entstand schnell eine lockere und lebhafte Atmosphäre. Nach Erfahrung der CeRRI-Moderatoren, ist diese Phase überaus wichtig, weil Menschen nur in einer Atmosphäre des Vertrauens kreativ werden können.
Anschließend wurde es ernst. Die eigentliche Ideation-Phase begann in kuratierten Tandems aus je einem Nachhaltigkeits- und KI-Experten. Nach nur zwei 30minütigen Durchgängen war die Ideation-Wall bereits gut mit ersten Vorschlägen gefüllt. In der Zwischenzeit gaben Microsoft-Experten einen Überblick darüber, welche konkreten Möglichkeiten KI-Technologien heute bieten, und Mitglieder der internationalen „AI for Earth“-Community von Microsoft berichteten von ihren Projekten.
Die Ideation: Neue Ideen entstehen
Im zweiten Teil der Ideation-Phase am Nachmittag sollten sich die Teilnehmer selbständig in 5er Gruppen zusammenfinden, um gemeinsam neue Ideen zu entwickeln oder eine der bereits formulierten Ideen weiter zu entwickeln. Jetzt zahlte sich das intensive Kennenlernen am Vormittag aus. Innerhalb weniger Minuten hatten sich die Teams gebildet und waren in intensive Diskussionen verwickelt.
Es wurde sofort fleißig skizziert und gerechnet, entworfen und wieder verworfen. Die anwesenden KI-Coaches vom Microsoft kamen bald ins Schwitzen, weil von allen Seiten Fragen zur Umsetzbarkeit dieser oder jener Lösung auf sie einprasselten.
Schon am Ende von Tag eins hingen 42 innovative Ideen an der ‚Ideation-Wall‘, die genau beschrieben, welche Herausforderung gelöst werden soll, welche Lösung angestrebt wird und welche Kompetenzen zur Umsetzung noch benötigt werden. Die meisten Vorschläge widmeten sich Problemen aus den Bereichen Mobilität, Recycling und Kreislaufwirtschaft, Wasser und Luftqualität, Biodiversität und Artenschutz, Landwirtschaft und Fischerei.
Das letzte ‚to do‘ des Tages: Die Teilnehmer mussten die vorgeschlagenen Ideen mit jeweils drei Punkten bewerten. Danach konnten sie den harten Arbeitstag beim abendlichen Get-Together beschließen – ab 19:00 standen die Türen von Microsoft Berlin weit offen – und rund 200 Gäste nutzen die Gelegenheit, sich über die Einsatzmöglichkeiten von KI zum Schutz von Umwelt, Klima und Ökosystemen zu informieren.
Hinter den Kulissen wartete auf die Mitglieder des Orga-Teams derweil noch ein hartes Stück Arbeit. Sie mussten final auswerten, welche Ideen es in die Konzeptphase geschafft haben und die Teams zusammenstellen, die diese am nächsten Tag weiter vorantreiben sollten.
Aus Ideenansätze werden Projekte
Als die Teilnehmer an Tag zwei eintrafen, war bereits alles vorbereitet. Quasi über Nacht waren reine Gedankenspiele zu realen Möglichkeiten geworden, und das fast schon ausgelassene Treiben vom Vortag wich einer knisternden Konzentration. Plötzlich ging es um ganz konkrete Fragen: „Wir brauchen billige Sensoren, aber liefern die auch aussagefähige Daten?“, „Können wir in Afrika auch eine Low-Tech-Lösung auf GSM-Basis installieren?“, „Wo herrschen die besten Bedingungen für ein Pilotprojekt?“, „Was kann KI mit unstrukturierten Daten anfangen?“
Besonders beeindruckend war, mit welcher Energie sich auch all diejenigen Teilnehmer, deren Ideen es nicht in die Konzeptphase geschafft hatten, an der Ausarbeitung „fremder“ Ideen beteiligten. Im Anschluss ging es in die ‚Challenge‘-Phase mit Mitgliedern des Earth Lab Beirats und den KI-Experten von Microsoft.
Immer wieder waren die Experten von Microsoft gefragt, um mögliche Lösungen, aber auch technische Grenzen aufzuzeigen. Alma Cardenas, die Programm Managerin des weltweiten AI for Earth-Programms von Microsoft war extra aus Redmond angereist, um den Teilnehmern des Berliner Earth Lab mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Bei aller Freude über allseits herrschenden Enthusiasmus, drängte sie die Teams immer wieder dazu, sich auf konkrete Probleme zu fokussieren und die Fragen, die mithilfe von KI beantwortet werden sollen, möglichst präzise zu formulieren. Schließlich sollen ja möglichst viele der Earth Lab-Ideen keine reinen Luftschlösser bleiben, sondern zu realen Projekten zum Schutz des Planeten heranwachsen.
Dass einige davon sicher das Zeug dazu haben, zeigte sich beim Abschluss-Pitch. Drei Minuten hatte jedes Team, um seine Lösung im Plenum vorzustellen.
Dabei bot das fiktive Setting ‚AI for Earth 2021 Konferenz‘ reichlich Raum für ehrgeizige Zukunftsperspektiven. So kann in Berlin 2021 jeder Mensch seine persönlichen Wege mittels Echtzeit-Informationen zur Luftqualität gesünder gestalten und die Energieeffizienz von Gebäuden ist für jeden transparent. Die Wasserqualität von Brunnen in Afrika wird flächendeckend überwacht, um die Bewohner rechtzeitig vor Krankheitserregern zu warnen. Globale Lebensmittelkonzerne lassen ihre Maßnahmen für mehr Biodiversität objektiv überprüfen, indem sie auf Erzeuger-Farmen die Insektenvielfalt mithilfe von akustischen Sensoren kontrollieren. Die Folgen von Starkregen und Überschwemmungen sind lokal präzise vorhersagbar – die von Überfischung und illegalen Fangflotten sind ebenso sichtbar, wie illegaler Straßenbau und die Rodung von Regenwäldern.
Eins ist sicher: Wenn wir das Innovationstempo von zwei Tagen Earth Lab auf die kommenden zwei Jahre hochrechnen, dann wird das, was heute noch als unerreichbare Utopie erscheint, ganz schnell zur machbaren Möglichkeit.