Jean-Pierre Erdas ist Mitbegründer des Heilbronner Unternehmens CAMAO TEC und deren Tochter XRGO, das sich auf Digital Experience Services spezialisiert hat. Als Mischung aus Consulting und Agentur mit technischem Hintergrund kümmert sich CAMAO TEC um digitale Transformationen zwischen Social Media, Marketing, Design und Softwaremanagement. Die Unternehmensmarke XRGO hat sich dafür auf X-Reality (AR, MR, VR) spezialisiert. Zuletzt digitalisierte XRGO mit Siemens Energy die Serviceeinsätze auf Schiffen mit Microsoft HoloLens 2 und Mixed Reality. Wir haben mit Jean-Pierre über die künftige Bedeutung und den Einsatz von Mixed-Reality-Lösungen im Beruf und im privaten Alltag gesprochen.
Jean-Pierre, wie beurteilst du das Potenzial von Mixed-Reality-Technologien in Unternehmen?
Jean-Pierre Erdas: Ich bin davon überzeugt, dass es sich damit in 20 Jahren ähnlich verhalten wird wie heute bereits mit dem Internet. Mixed Reality wird nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken sein – sowohl in der Arbeitswelt als auch im Privatleben. Mixed Reality ist bereits branchenübergreifend vielfältig einsetzbar, wie zum Beispiel in der industriellen Fertigung, wo sich zurzeit mehrere Mitarbeiter*innen einen Rechner teilen und auf Papier gedruckte Aufträge von Station zu Station weitergereicht werden müssen. Mit dem Einsatz einer Mixed-Reality-Brille könnte all das entfallen. Stattdessen ließen sich alle notwendigen Informationen im Sichtfeld des jeweiligen Beschäftigten anzeigen. Dazu gäbe es die Möglichkeit, per Spracheingabe die Verarbeitung der Daten zu steuern. So erreicht man ein effizienteres und nachhaltigeres Arbeiten, da bestimmte Arbeitsschritte wegfallen und Papier eingespart werden kann. Unternehmen könnten ihre neuen Mitarbeiter*innen dank dieser Technologie kinderleicht einarbeiten. Allein das verspricht eine massive Steigerung der Produktivität.
Ihr seid vollumfassend auf Mixed-Reality-Technologie spezialisiert: Von der Einrichtung und der Bereitstellung der Software und Hardware, wie z.B. Microsoft HoloLens 2, bis hin zu Workshops und der Entwicklung individueller Lösungen. Was ist für dich der größte Vorteil?
Jean-Pierre Erdas: Mixed Reality ermöglicht uns den nächsten Schritt in eine digital integrierte Welt. Aktuell müssen wir das Smartphone noch aktiv in die Hand nehmen, um eine Handlung auszuführen. Dank der Verflechtung von digitaler und physischer Welt wird sich das in Zukunft wie eine Handbewegung oder ein Augenaufschlag anfühlen. Diesen technischen Rundumblick nutzen wir bei CAMAO TEC und unserer Submarke XRGO bereits heute in Zusammenarbeit mit unseren Kunden. Hier bieten wir mit den Digital Experience Services die individuelle Zusammenstellung verschiedener Kompetenzen aus den Bereichen Technology, Agency und Consulting. „Experience“ ist hier das Zauberwort, denn was könnte mehr Experience bieten als eine digitale Welt, die mit der physischen Welt eine Einheit bildet.
Aus eurer Erfahrung in der Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Kunden: Wo gab es anfangs vielleicht noch Zurückhaltung beim Kunden hinsichtlich der Anwendungsmöglichkeiten von MR-Technologie und wie seid ihr dieser begegnet?
Jean-Pierre Erdas: Neue Technologien werden zunächst meistens skeptisch betrachtet. Das war beim Internet und den Smartphones so, und so verhält es sich auch heute im Bereich von Mixed-Reality-Lösungen. Besonders der Mittelstand steht ihnen kritisch gegenüber. Doch genau hier ruht ein enormes Potential. Aus diesem Grund haben wir kleine, erschwingliche Beratungspakete geschnürt, die in einem Proof of Concept (PoC) oder Minimum Viable Product (MVP) münden. Damit ist es uns möglich, unseren Kunden die Technologie näher zu bringen, sie anfassbar und zu einem Erlebnis zu machen. Erschließen sich einem mittelständischen Unternehmen der Mehrwert und die Machbarkeit, so ist es auch bereit, zu investieren und seine bestehenden Prozesse auf ein neues Level zu heben.
Bei vielen eurer Lösungen setzt ihr auf Microsoft HoloLens 2. Was ist der besondere Vorteil beim Einsatz von Microsoft HoloLens 2 gegenüber anderer Hardware?
Jean-Pierre Erdas: HoloLens 2 bietet – gemessen am Stand der Technik – das beste Mixed-Reality-Erlebnis. Anwender*innen können sie ohne besondere Schulung und Einweisung direkt nutzen: Aufsetzen, anschalten, loslegen. Verglichen mit anderer Hardware bietet HoloLens 2 unter anderem als Einzige die vollständige Einbindung der gewünschten Assets in die physische Umgebung. Ein weiterer Pluspunkt ist die Integration von Microsoft-Programmen wie Teams und der Microsoft Power Plattform.
Bei eurem Kunden Siemens Energy kommt MR-Technologie mittlerweile sogar auf hoher See zum Einsatz. Wie verlief der Prozess der Lösungsintegration dabei und wie lange dauerte es von der Beauftragung bis zum aktiven Einsatz?
Jean-Pierre Erdas: Bereits nach den ersten Gesprächen haben wir mit der gemeinsamen Definition des MVP und dem Aufsetzen der Rahmenbedingungen in den Bereichen Hardware, Software und Usability begonnen. Nach dem erfolgreichen Einsatz des MVP bei einem Testkunden der Siemens Energy folgte wenig später das Rollout der finalen Lösung für den ersten Pilotkunden. Von der Anfrage bis zum ersten Einsatz dauerte es knapp 18 Monate. Mittlerweile ist die Remote-Assistance-Lösung Teil des Standard-Supportangebotes der Siemens Energy.
Wenn du einen Blick in die Glaskugel wirfst: Was würdest du dir wünschen, wo wir in zehn Jahren mit der MR-Technologie stehen werden?
Jean-Pierre Erdas: Ich glaube, dass Mixed Reality bis dahin fest in unserem Alltag integriert sein wird. Ich werde meine Eltern, die auf Sardinien leben, real erlebbar via Mixed Reality „besuchen“ können und umgekehrt. Wir werden im Ausland studieren und mit den Studierenden vor Ort interagieren können, ohne jemals dorthin zu reisen. Wir werden an Mixed-Reality-Konferenzen und -Besprechungen aus unserem Wohnzimmer heraus teilnehmen und soziale Netzwerke werden ihre Metaverses weiter ausgebaut haben. Die physische und die digitale Welt werden eins sein.
Ökologische Nachhaltigkeit und die Reduktion von Emissionen werden in der Wirtschaft immer wichtiger. Wie können MR-Technologien beim Erreichen dieser Ziele unterstützen?
Jean-Pierre Erdas: Die größten Potentiale sehe ich auf der einen Seite in der digitalen Mobilität: Entfernungen in der physischen Welt werden zu digitalen Katzensprüngen. Dadurch können wir viele Kilometer auf der Straße, auf dem Wasser und in der Luft einsparen. Wir werden physische Mobilität nutzen, wenn wir es wollen – nicht, weil wir es müssen – und so Energie sparen und Rohstoffe schonen. Dinge wie Plakate, Flyer oder sogar Ampeln werden als physische Gegenstände schlichtweg nicht mehr benötigt. Das wird stattdessen dann alles digital abgebildet sein.
Vielen Dank für das Gespräch, Jean-Pierre!
Weitere Interviews aus unserer „Nachgefragt“-Reihe sowie weitere Anwendungsbeispiele und Informationen zum Einsatz von Mixed Reality-Technologie und Microsoft HoloLens 2 in der Arbeitswelt sind in unserer Pressemappe zu finden.
Ein Beitrag von Mariano Mailos
Mixed Reality Product Marketing Manager